Mittwoch 6. April 2016, 08:31
Liebe Freunde,
jetzt ist doch wieder einige Zeit vergangen, und längst wollte ich mich gemeldet haben.
Aber diese Zeit war gut und wichtig, vielleicht die wichtigste meines Lebens, denn es war eine Zeit der Einsicht. Gereift weder durch Meditation oder besondere Gespräche, noch überhaupt durch einen willentlichen Akt der Auseinandersetzung, Klärung und Veränderung. Die Einsicht kam vielmehr einfach so angeflogen, und doch ist sie ganz offenbar das Ergebnis einer jahrelangen Entwicklung, das sich nun so plötzlich Bahn bricht. Was meine hier schon öfter geäußerte Ansicht unterstreicht, dass der freie Wille ein Trugschluss ist. Vielmehr ist unser Handeln immer ein Ergebnis einiger bewusster, aber noch entscheidend mehr unterbewusster Erfahrungsprozesse.
Was ist geschehen? Die Gier ist weg. Einfach weg, von heute auf morgen. Ich trinke ein Bier, zwei, maximal drei. Dann habe ich keine Lust mehr; der bisher, und das seit Jahrzehnten, nach 2-3 Bier verlässlich einsetzende, unwiderstehliche Drang nach mehr ist wie weggeblasen. Stattdessen tritt ein Gefühl der Sättigung ein und eine tiefe Unlust, weiterzutrinken. So konnte ich mit dem Alkohol Frieden schließen. Ja, ich freue mich auf 1-3 Bier am Abend, und gleichzeitig freue ich mich dabei auch schon aufs Wiederaufhören. Das klappt Abend für Abend, und es erscheint mir wie ein Wunder.
Natürlich gibt es auch für vermeintliche Wunder bestimmte Gründe. Werner hat wiederholt auf Psychohygiene und Resilienz verwiesen. Beides Qualitäten, die über Jahre in mir gewachsen sind. Dann spielt vielleicht auch mein Alter von 48 Jahren eine Rolle. Offenbar "will" mein 48-jähriger Körper und Geist sich vom Alkohol einfach nicht mehr so stressen lassen. Ein langjähriger Prozess, der sich im Stillen entwickelt hat - und eben kein reiner, erklärter, kopfgesteuerter Wille. Letzterer allein führte immer wieder zum Scheitern jeglicher Abstinenz- oder auch deutlicher Reduzierungsversuche. Ein weiterer Grund ist vermutlich meine derzeit stabile familiäre und berufliche Situation, schließlich auch eine gewisse finanzielle Entspannung. All dies und zusätzlich ein Haufen negativer Erfahrungen mit Alkohol haben offenbar dazu geführt, dass sich die alte Gier verabschiedet hat.
Baclofen nicht zu vergessen als die Substanz, die sich über die Jahre als Helfer gegen die Sucht manifestiert hat. Mittlerweile hat sie sich in ihrer Wirkung verinnerlicht und eine weitgehende innere Ruhe begünstigt. Mein Unterbewusstsein hat von Baclofen gelernt. Daher nehme ich es auch nur noch als Notfalldosis in Momenten innerer Unruhe, zur Zeit etwa 4-5 mal wöchentlich 12,5 oder 25 g als Einzeldosis.
Alkohol war immer der Feind. Kürzlich habe ich einen Leserbrief in der Badischen Zeitung gelesen, darin beschreibt eine Frau, wie sie sich ihren inneren Schweinehund zum Freund gemacht hat, der sie nunmehr ermuntert, Sport zu machen, sich gesund zu ernähren usw. Ich hab das gedanklich ein bisschen adaptiert auf den Alkohol. Ich nehme ihn jetzt an als Partner. Mein größter Feind, der übermächtige, schrumpft auf Normalmaß und gibt mir die Hand. Ich weiß, dass ein solcher Friedensschluss kein Vorbild sein kann für viele hier, vor allem für die, die komplett abstinent leben, weil es das Beste für sie ist, und für die jeder Rückfall einen schädlichen Prozess erneut in Gang setzt.
Und doch stehe ich hier und kann nicht anders, als von der Wahrheit zu berichten. Meiner eigenen, individuellen Wahrheit.
Vielleicht gibt es ja noch andere, biologisch-medizinische Gründe dafür? jivaro, praxx? Erfahrene Nutzer, Neulinge? Werner, moonriver? Federico? Patrick, wie schön, von dir zu lesen!
Ich freue mich auf eure Meinung. Und bitte, ich schreibe das hier alles nicht von leichter Hand. Und ich bleibe wachsam, das vor allem: wachsam und achtsam. Das wünsche ich allen hier, geht euren Weg mit offenen Augen, jeder den seinen.
Herzlich grüßt Dieter