Montag 11. April 2011, 16:08
Montag 11. April 2011, 17:44
Willo hat geschrieben:Es bleibt immer ein "Du musst doch nur "Nein" sagen" - Rest im Hirn dieser Menschen. Wie sollen sie das Gefühl kennen, dass jede Faser Deines Körpers "Nein" schreit, und Du trotzdem "Ja" machst?
Dienstag 12. April 2011, 15:37
[/quote]Das Fehlen einer verlässlichen Behandlung erklärt auch die moralischen Etikettierungen von Sucht. Immer, wenn die Medizin eine Krankheit nicht heilen konnte, hat sie dem Patienten die Schuld gegeben, dem es wahlweise an moralischer Stärke, an positivem Denken oder an Willenskraft fehlte. Im 19. Jahrhundert wurde die Tuberkulose, zumindest soweit sie das Establishment betraf, in Romanen und Opern mit Personen von zweifelhafter Moral oder Zurechnungsfähigkeit in Verbindung gebracht. Man denke nur an Fantine, die ledige Mutter, die zur Prostituierten wird, in Victor Hugos Les Misérables; an den geistig verwirrten Revolutionär Kirillow in Dostojewskis Die Dämonen; oder an die Kurtisane Violetta in Verdis La Traviata. Susan Sontag hat in ihren Büchern Krankheit als Metapher und Aids und seine Metaphern die dabei wirksame Dynamik im Hinblick auf Krebs und Aids eindrücklich geschildert. Ich hatte große Angst vor einer moralischen Verurteilung meines Trinkverhaltens, und niemand urteilte härter über mich als ich selbst. »Man hält mich für einen intelligenten Menschen mit Willenskraft. Ich sollte in der Lage sein, meinen Drang nach Alkohol zu kontrollieren. Wenn die Leute herausfinden, dass ich ein Trinker bin, werden sie erkennen, was für ein Blender ich bin.« Das Bild wird zusätzlich noch dadurch kompliziert, dass manche Menschen in der Lage sind, ihr Suchtverhalten mithilfe von 12-Schritte-Programmen wie dem der AA und häufig verschriebenen Medikamenten wie Revia, Campral und Antabus zu kontrollieren. Aber für die große Mehrheit der Menschen mit Suchterkrankungen reicht das nicht aus. Für mich reichte es definitiv nicht aus. Das soll nicht heißen, dass die AA-Treffen mir nicht halfen. Sie halfen durchaus. Sie waren die kritische Unterstützung, ohne die ich vielleicht nicht überlebt hätte, bis ich in Baclofen eine wirksame Medikation fand. Sie lehrten mich viel darüber, meine Krankheit zu akzeptieren, und über meine Leidensgefährten und mich, aber sie konnten mein Verlangen nach Alkohol nicht dämpfen und auch nicht die unkontrollierbare Angst, die mich zum Trinken trieb. Der Gedanke, auf Alkohol zu verzichten, entsetzte mich. Ohne Alkohol wäre ich ein verängstigtes Wrack. Ich hatte auch Angst davor, mein Alkoholproblem meinen Freunden und Kollegen einzugestehen. Ich fürchtete ihre Verachtung, und weil ich meinte, ich müsse in der Lage sein, mein Trinken unter Kontrolle zu halten, erschien es mir gerechtfertigt, dass sie mich verachteten. (Naiverweise nahm ich an, nur wenige Ärzte hätten ein Alkoholproblem. Ich wusste noch nicht, dass rund zehn Prozent der Ärzte, wie auch rund zehn Prozent der allgemeinen Bevölkerung, irgendwann in ihrem Leben alkohol - abhängig werden, dass ein viel höherer Prozentsatz in beiden Gruppen Problemtrinker sind und dass nach Angaben der British Medical Association Ärzte ein dreimal höheres Risiko als der Bevölkerungsdurchschnitt haben, infolge Alkoholmissbrauchs eine Leberzirrhose zu entwickeln.2)
Dienstag 12. April 2011, 21:06
Mittwoch 13. April 2011, 08:59
Erwähnens- und Bedenkenswert ist m.E. auch, dass, wenn eine PT fehl schlägt oder nicht "anschlägt" oder sogar ins Gegenteil umschlägt, auch stets der Patient die Verantwortung dafür bekommt.
Ich weise hier mal auf ein sehr provokatives Buch hin, das allerdings auf solider wissenschaflticher Recherche erstellt wurde: "Das Lexikon der Psychoirrtümer - Warum der Mensch sich nicht therapieren, erziehen und beeinflussen lässt" von Rolf Degen.
Nur ein Hinweis, es wirft aber in der Tat Fragen auf, die erstmal im Raum stehen bleiben.
Mittwoch 13. April 2011, 11:54
Mittwoch 13. April 2011, 22:49
Donnerstag 14. April 2011, 01:39
Praxx schrieb: Ein zusätzliches Problem ist die übermächtige Stellung der Verhaltenstherapie in der Behandlung von Suchterkrankungen. Da wimmelt es von mechanistischen, "manualisierten" Therapieverfahren mit wenig Raum für individuelle Entwicklungen.
Donnerstag 14. April 2011, 08:30
Donnerstag 14. April 2011, 08:57
Da gibt es offenbar die weit verbreitete Irrmeinung, Psychotherapie wäre etwas, was der Therapeut mit dem Patienten macht...