Donnerstag 3. März 2011, 01:15
Hallo,
ich bin Rafael und 26 Jahre alt.
Ich weiß es noch genau: als ich 13 Jahre alt war, trank ich mein erstes Bier. Ich erinnere mich, wie es war, von wem ich es bekommen hatte und dass es das Leben für diesen Moment sehr leicht machte. Ich würde sagen: ab diesem Zeitpunkt war ich eigentlich schon psychisch abhängig. Aber sowas merkt man ja immer erst hinterher.
Ich trank ab dann immer regelmäßiger. Zunächst ging ich jedes Wochenende aus, was meine Eltern damals sehr freute. Ich war nämlich mein Leben lang ein sehr ängstliches, verschüchtertes Kind gewesen. Wenn ich heute (nach der Lektüre von Ameisen) darüber nachdenke, fällt es mir wie Schuppen von den Augen, dass ich praktisch mein Leben lang unter einem Angstwahn gelitten habe, den (meines Wissens) weder ich, noch irgendjemand anders zu verantworten hat. Meine Eltern haben mich als Kind zwar zu allerlei Psychiatern geschickt, aber da hieß es immer nur, dass es ja so schlimm nicht sei und womöglich irgendein traumatisches Erlebnis diese Ängste ausgelöst hätte. Ich jedenfalls, kann mich an keines erinnern. Aber weiter im Text.
Im Alter zwischen 15 und 17 Jahren hatte ich meine alkoholische Peakzeit. Täglich betrank ich mich, fing bereits ab 15:00 Uhr an und brach schließlich meine Schule ab.
Und immer mehr gab es mich zweimal. Und viele kannten nur mein betrunkenes Ich und hatten mich noch nie (!) nüchtern erlebt.
Mein Leben hat sich schließlich komplett um meine Ängste herum gebildet. Ich verlasse das Haus kaum und wenn, dann nur mit meiner "Arroganz"-Maske an. Selbst Kleinigkeiten, wie unterschreiben, bezahlen oder in der Öffentlichkeit Essen machen mir Probleme. Und auch wenn ich mich mit guten Freunden treffe, bin ich aufgeregt, schlafe die Nacht zuvor schlecht und kann den ganzen Tag nichts essen. Eine sehr ausgeprägte soziale Phobie eben.
Mein Konsum hat sich letztlich (mehr oder weniger) bei etwa einem 0,5 L Sixpack oder einer Flasche Wein am Abend eingepegelt. Ging ich aus, wurde zuhause vorgebechert (manchmal schon dann fast eine Flasche Wein) und dann maßlos auf den Festen weiter. Da war ich dann der Bär, zog Leute in meinen Bann, gewann regelmäßig neue Freunde und sprach sogar Frauen sehr erfolgreich an. Doch wehe, jemand von denen begegnete mir mal, wenn ich nüchtern war. Die erkannten mich nicht wieder. Der coole Typ war auf einmal eine kleine Mimose, die kaum einen Satz rausbrachte ohne zu stottern.
Interessant übrigens, dass ich hier in der Vergangenheitsform schreibe - aber mehr dazu gleich. Denn durch einen Beitrag, der vor kurzem im ZDF lief, bin ich auf Ameisen und Baclofen gestoßen. Dann habe ich zunächst Euer Forum gefunden und etwas weiter geschaut und schließlich das Buch gekauft. Ich erkannte mich sofort wieder! In einem Teil des Buches schreibt Ameisen von den immer schaukelnden Beinen, die auf AA-Treffen so häufig zu sehen seien. Ob Ihr's glaubt oder nicht: während ich das laß wackelte mein Bein (wie so oft).

D
Ich habe bereits mehrfach versucht mit dem Alkohol aufzuhören. Aber immer war es sehr schwierig. Einmal schaffte ich es sogar für 6-7 Monate. Aber genau das, was Ameisen schreibt war auch bei mir der Fall: "Alle sagen Dir, hör auf zu trinken und Du wirst Dich besser fühlen, aber das stimmt nicht. Es geht einem schlechter". Exakt. Denn ohne den Bär war ich nur noch die Mimose. Auch auf Festen.
Ich stehe nun also vor der Entscheidung: Selbstmedikation durch Alkohol, in die Abwärtsspirale eintreten, irgendwann statt einer Flasche Wein am Abend, eine Flasche Cognac trinken. Oder Selbstmedikation durch Baclofen, vielleicht bemerken, dass ich das sogar irgendwann wieder absetzen kann, weil ich noch nicht körperlich abhängig und noch recht jung bin.
Und diese Entscheidung habe ich für mich getroffen. Ich trinke jetzt schon seit Sonntag nichts mehr und bin voller Vorfreue auf meine Baclofen, die demnächst mit der Post geliefert werden. Darum schrieb ich oben auch alles in der Vergangenheitsform.

Ich hoffe, das war nicht zu lang und nicht zu langweilig (war echt schon die kurze Version...
Viele Grüße,
Rafael Berger