Sonntag 2. April 2017, 07:14
Hallo zusammen
Früher habe ich mich regelmässig überschätzt. Jetzt weiss ich z.B. dass ich noch nicht alleine eine Zug/Flug und Hotel-Reise unternehmen soll. Den Schaden würde ich zwar eindämmen können, aber immerhin gäb's Schaden. Daher bin ich froh, dass es in den letzten Monaten noch keine Geschäftsreise gegeben hat und es in naher Zukunft auch keine geben wird. Es ist zynisch, aber die mit dem starken CHF zusammenhängende Krise sei dank.
Wenn's bald eine Situation, in der ich alleine reise, geben würde, und ich meiner Sache nicht sicher bin, werde ich vielleicht währenddessen ausnahmsweise Disulfiram nehmen, weil ich dann überhaupt nicht trinken kànn, und die Alkoholgelüste somit von vorn herein blockiert werden. Der nach Rausch sehnende Teil von mir, der sich mit "würde ich vielleicht, sollte ich,... könnte ich..." durchsetzen will, weiss, dass es keine Rausch-Chance gibt mit diesem Mittel.
Nein, lieber Dieter, das halbe Jahr ist noch nicht voll, erst gegen Ende dieses Monats wenn alles nach Plan läuft. Vieles habe ich in den letzten Monaten gelernt, die Konditionierung ist nach soviel abstinenter Zeit, auch nach soviel Anläufen in den letzten Jahren, richtig trainiert. Ich kenne allmählich die Fallen, vereinzelt gibt's noch eine Notfalldosis Baclofen.
Die ersten Wochen nach einem Rückfall bin ich stabil, die Kurve ist flach. Jetzt habe ich aber eine Rekordzeit Abstinenz verbracht. Seit 30 Jahren ist es das erste Mal, dass ich fast ein halbes Jahr keinen Rückfall erlitten habe. Obwohl ich hier 'der starke Motivator' scheine, bin ich selber noch zu wenig sattelfest und brauche noch immer meine umrahmte Struktur und Kontrolle (Arbeit und Familie und auch das Forum). Mit zuviel Freiheiten kann ich noch nicht gut umgehen. Aber es geht immer besser.
Trotzdem bin ich stolz auf das, was ich erreicht habe. Mein Alkoholtyp ist Rauschtrinker. Die trinken z.B. jedes Wochenende in ihrer Stammkneipe, beim Fussball oder saufen sich 1-2 Mal im Jahr beim Ballermann voll. Zwischendurch funktionieren die mehr oder weniger normal in der Gesellschaft.
Diése Alkoholkranken fallen weniger auf, weil die eben noch funktionieren, haben Familie, Haus, Arbeit.
Ich könnte es mir leisten zu sagen, ok, ich lasse die Rauschteufel 1-2 Mal im Jahr auf mich los, danach ist die Kurve wieder flach und ein halbes Jahr geht's mir wieder gut.
Theoretisch könnte ich damit leben.
Aber ich tue's nicht. Ziel ist nach wie vor, diese Alkoholgelüste zu überwinden, und die Heilung kommt an erster Stelle. Auch wenn's einen Rückfall geben würde, darf das Selbstvertrauen nicht darunter leiden. Es wird nicht abgewichen von der Richtung Vorwärts, denn wenn Stagnation kommt, und ich mich zu seltenen Saufgelagen verführen lassen würde, werde ich im Nu in die gleiche Teufels-Saufspirale hineingesaugt.
Rückfälle - sollten sie kommen - darf man nicht verteufeln, aber sie dürfen auch nicht auf die leichte Schulter genommen werden und ohne weiteres akzeptiert werden.
Ich habe aufgehört, mich bei einem Rückfall als Schwächling zu betrachten. Keine Scham und Ärger mehr. Ich weiss jetzt, ich kann aufhören, monatelang, wer weiss sogar jahrelang. Das bereits Erreichte soll man hegen, dafür darf man sich loben. Aber eben, nochmals: immer weiter die Vorwärts-Richtung fahren, es darf nicht abgewichen werden.
Niemand soll wegen einem vereinzelten Rückfall be- und verurteilt werden, so sollte man sich selber auch nicht behandeln.
Nachdenken ist aber ein Muss.
Nachdenken. Analyse. Dazu soll man sich wirklich zwingen, bis es weh tut. Was zum Teufel ist falsch gelaufen. Wie kann ich einen weiteren Rückfall verhindern.
Und wenn man sogar im Voraus darüber nachdenkt, ist man noch besser gegen potenzielle Gefahren geschützt. Forumshilfe oder andere, wie z.B. Carr-Lektüre, ist dabei sehr hilfsreich.
Noch ist die Lage gut. Schwierige Zeiten mit vielen Triggern kommen aber auf mich zu. Ich bin gewappnet und weiss was zu machen gilt.
Ich hoffe, meine Chancen stehen gut
LG
Patrick