Ich betrachte den Artikel aus einem anderen Blickwinkel und finde ihn recht bemerkenswert und positiv, denn er thematisiert den längst fälligen Wandel in der Suchttherapie. Versucht mal, Nalmefen auszublenden und stattdessen "Anti-Craving-Substanz" einzublenden. Beginnend mit diesem Satz:
Zitat:
So ist es bemerkenswert, was sich derzeit in der Alkoholtherapie vollzieht.
wird Körkel zitiert mit
Zitat:
"Nie mehr" bedeutet für die Betroffenen nicht nur den endgültigen Verzicht auf den begehrten Stoff, sondern auch, für den Rest des Lebens als Säufer gebrandmarkt zu sein.
Totalabstinenz und Kontrolliertes Trinken werden einander als gleichwertig gegenüber gestellt:
Zitat:
Tatsächlich funktionieren beide Ansätze ähnlich gut, wie internationale Erfahrungen zeigen. Ob abstinente oder nur moderater gewordene Trinker: Beide Gruppen bleiben ihren Vorsätzen in etwa gleichem Maße treu, ergab eine Überblicksstudie aus dem vergangenen Jahr. Beide Gruppen profitieren zugleich von ihrem Ansatz. Eine ebenfalls aus dem vergangenen Jahr stammende Metaanalyse zeigte: Wer seinen Alkoholkonsum reduzierte, hatte ein nur knapp halb so großes Sterberisiko wie diejenigen, die weiter ohne jedes Maß soffen.
Alleine das - eine mögliche Verbindung zu ziehen zwischen Anti-Absturz-Medikation und kontrolliertem Trinken, ist beinahe halsbrecherisch* für eine Zeitung.
Zitat:
Dennoch hält auch Soyka die Reduzierung für ein legitimes Ziel für diejenigen, die anders nicht zu erreichen sind.
"Weniger zu trinken, ist immer noch besser, als gar nichts zu tun"
Einige von ihnen kommen über diesen Umweg doch noch zur Abstinenz. "Wer nach Jahren der Abhängigkeit erstmals wieder einen alkoholfreien Tag pro Woche erlebt, schöpft Mut und traut sich dann vielleicht zu, auch abstinent zu leben", hat Körkel erlebt. Andere lernen auf diese Art, dass ein bisschen reduzieren zwar nicht schlecht ist, aber ihre Probleme letztlich nicht löst, und wagen doch noch den Schritt in die Abstinenz.
Wir haben es hier mit Mässigung der überhöhten Ansprüche an uns Abhängige zu tun, mit einer Öffnung, die ersten Schritte eines Abhängigen abseits des "einzig wahren" Wegs zu anerkennen, und ihm zuzugestehen, dass er seinen Weg und seine Schrittlängen selbst entwickeln darf und soll. Dass jede medikamentöse Unterstützung legitim ist, die seinen gesamten Organismus (Leib und Seele) von Krankheit entfernt in Richtung Gesundung. Dass jede Zwischenstufe besser ist als Verharren in der Selbstschädigung. Das entspricht unserem Verständnis von Begleitung und Unterstützung, das entspricht auch dem Recovery-Ziel.
Natürlich wünschte ich mir, Baclofen kriegte den Stellenwert, den es verdient und zumindest eine Erwähnung. Wenn diese Öffnung - aus den bekannten und vermuteten Sch... Gründen - über Nalmefen irgendwie "legitimer" angestossen und weiter gebracht werden kann, knirsche ich zwar heftigst mit den Zähnen, nehme aber mit Genugtuung zur Kenntnis, dass es zumindest weiter GEHT.
Echt Mühe habe ich erst, wenn ich vergleiche, was an sachlicher Information im Artikel steht - und was in den Kommentaren dann gepostet wird: Da wird mir schlecht.
*Denn dort
stinkt es regelrecht nach Angstschweiss.
Angst vor dem Rückfall.
Angst davor, den mühsam aufgebauten Willen zu verlieren.
Angst, es könnte jemandem nach mir zu leicht gemacht werden.
Angst, der eigene, äusserst mühsame Weg sei vergebens so hart gewesen.
Angst, man habe vergebens gebüsst.
Angst, das ganze, auf Unterwerfung unter Totalabstinenz aufgebaute Gebäude von Sinnfindung im Kampf GEGEN könnte untergraben werden und sich als falsch erweisen.
Angst beherrscht die Suchtwelt - auf allen Seiten und Ebenen.
Die Öffnung gegenüber neuen Behandlungsmethoden beisst offensichtlich auf härtesten Granit unter den Betroffenen selbst. Zum Haare-Raufen.
lg
Lisa - so froh, von dieser ganzen Angst- und Panikmache nicht mehr betroffen zu sein