
Sonntag 1. Dezember 2013, 12:11
Nochmals zum Kontext/Gewohnheit: Die ganz grossen Kontextwechsel, die du erwähnst, federico, meinte ich damit (noch) nicht - und ich hoffe, sie sind nicht nötig für mich, denn im Moment gefällt mir mein "Kontext" eigentlich gut (Partnerschaft, Job, Wohnort). Auch Annie Rapp bäckt hier kleinere Brötchen mit ihren Vorschlägen.
Wir sprechen ja oft über Trigger, die bewusst gemacht werden müssen. Im Umkehrschluss gilt aber neurobiologisch auch: getriggert werden wir in der gleichen Weise durch die Umstände neuer Gewohnheiten, wenn sie lange genug ausgeübt wurden. Oder: Stell einem Genuss-trinkenden Menschen zur Samstagabend-Einladung statt dem üblichen Wein einen Krug Wasser hin – er wird höchst irritiert sein. Gewohnheit.
»Die meisten Menschen denken, Verhalten orientiere sich an bestimmten Zielen – und das tut es auch, wenn man etwas zum ersten Mal macht«, erläutert Wendy Wood. Aber je öfter es wiederholt werde, desto stärker sei es durch bestimmte Reize aus der Umgebung geleitet. Absichten würden dann immer weniger wichtig.
Genau das geschieht mir während Abstinenzzeiten – das Ziel Abstinenz ist nicht mehr der alles beherrschende Imperativ, sondern die neue Gewohnheit, nicht zu trinken, wird Alltag und der Kontextwechsel wirkt zurück auf die Gewohnheit. Kein Alkohol im Haus, aber andere Getränke, die ich zunehmend geniesse. Statt nach Feierabend gewohnheitsmässig noch im Mantel der erste Griff in den Kühlschrank, immer automatischer ein grosses Glas Wasser oder ein Kaffee. Statt grübelnd und rauchend über meinem Bier zu brüten, der Impuls zu einem Powernap auf der Coach.
Ich verstehe Gewohnheit als EINEN Faktor im Suchtgeschehen. In der gelassener vermittelten Nikotinentwöhnung wird dieser Aspekt viel höher gewichtet. Da wird teilweise schon aktiv an der Veränderung des Kontextes gearbeitet, bevor der Tag Null beginnt: andere Zigarettenmarke, rauchen nicht mehr am gewohnten Ort, nie zu üblichen Gelegenheiten wie aus-dem-Bus-steigen, aus dem Büro kommen etc. Kontextwechsel bringen die alte Gewohnheit aus dem Tritt.
Wie der abrupte Eintritt in die Klinik: kein Gedanke daran, hier zu trinken. Umso schwieriger dann das Heimkommen an den Wochenenden – statt zu trinken, habe ich jeweils einfach geheult, ohne genau zu wissen, weshalb.
Ich bestreite damit auch keineswegs, dass Craving alles beherrschend sein kann. Hier setzt Bac an. Es lohnt sich aber ein Gedanke daran, dass GGG auch beim Aufgeben von Gewohnheiten gilt. Wie viel Gewohnheit steckt hinter meinem Craving? kann mir zumindest den Blick wieder etwas öffnen.
Einen schönen Sonntag!
LG
Lisa
Montag 2. Dezember 2013, 01:15
rog hat geschrieben:Edle Lisa
Voll Recht hast Du. "Scheitern an den grossen Zielen geschieht im Alltäglichen". Ich hätte's nicht besser schreiben können. Ich möchte Dich einladen, mehr darüber zu schreiben.
Ich freue mich selten auf den Wochenstart, Lisa. Aber einmal der Montag gestartet ist, bin ich wohl wieder auf Trab. Das dürfte doch auch für dich gelten...?
LG
Patrick
Ich hol das jetzt mal aus Dieters Thread in meinen:
Ja, das gilt auch für mich. Mittlerweile finde ich meinen Arbeitsrhythmus recht schnell wieder. Erstaunlich ist aber immer wieder, wie sich am Sonntag zuvor trotzdem Ängste und Befürchtungen einschleichen und mich beeinträchtigen können. Die Furcht davor, nicht zu genügen, Angst zu versagen, mich zu entblössen mit meiner Problematik (das ist die schlimmste, die ich um jeden Preis verbergen muss - mit masslosem Druck verbunden, zu funktionieren). Und all das immer bei vollem Bewusstsein, dass ich noch jede Woche zuvor meine Leistung erbringen konnte, dass meine Arbeit geschätzt wurde und ich gut funktionierte. Nur erwächst mir daraus wenig Sicherheit - schon gar nicht, wenn ich am Trinken bin.
Ich vermute, das ist schwer zu begreifen für angstfreie Menschen. Aber diese Angst greift wirklich über in alle Lebensbereiche ein und klammert sich an mich. Mal mehr, mal weniger, je mehr ich trinke, desto mehr, je "trockener" ich bin, desto weniger. Eigentlich wär's ganz einfach. Meinen alle andern.
Die Einladung, das Scheitern im Alltäglichen weiter auszuführen, nehme ich gern entgegen, Patrick. Heute nicht mehr.
lg
Lisa
Montag 2. Dezember 2013, 19:47
Und doch wirkt sich Baclofen hier positiv aus; die viel zitierte Grundruhe äussert sich bei mir in einer gewissen Heiterkeit und einem Ruf von innen: "Lass das Leben doch einfach geschehen, du bist dem gewachsen."
Meine Müdigkeit/Schlappheit allerdings wird in meinem Arbeitsumfeld bemerkt und kritisch-besorgt hinterfragt. Wie geht ihr damit um? Eigentlich mag ich nicht lügen - diesen Krug hab ich schon längst erschöpft.
Lisa
Montag 2. Dezember 2013, 20:44
@Lisa,
ich würde (müde) lächelnd drüber hinwegsehen, sie kennen Dich eben anders ...
es muss nicht negativ besetzt werden, nur weil sich Kollegen über nachlassenden Esprit wundern.
Müdigkeit in der derzeitigen Form (Aufdosierphase) wird ganz von selbst nachlassen.
Zu einem vorschnell geäusserten „ich trinke nicht mehr“ und vor allem warum, würde
ich zum derzeitigen Zeitpunkt nicht zuraten.
Sonn' Dich lieber in zunehmender Gelassenheit á la:
„Lass das Leben doch einfach geschehen,
du bist dem gewachsen.“ Etwas Besseres wirst Du in Sachen
Selbst-Bewusst-Sein nicht mehr finden ...
LG Federico
Montag 2. Dezember 2013, 21:04
es muss nicht negativ besetzt werden, nur weil sich Kollegen über nachlassenden Esprit wundern.
Ich fasse das so auf: Meine Müdigkeit soll
von mir nicht negativ besetzt werden. Da arbeitet eben nun tatsächlich die immer aktivierungsbereite, total wache Lisa, ständig auf stand-by und vif wie nur irgendwas (schnell-schnell! Was, schon fertig? Viielen Dank!). Gehört zu meinem Job in einem sehr lebendigen Sekretariat. Gehört auch zu meinem Selbstbild. Dürfte man ruhig mal hinterfragen...
Zu einem vorschnell geäusserten „ich trinke nicht mehr“ und vor allem warum, würde ich zum derzeitigen Zeitpunkt nicht zuraten.
Oh nein! Das tue ich nicht mehr; im sozialen Umfeld, in dem ich nach wie vor arbeite, würde ich ruck-zuck in den Klientenstatus erhoben - und käme nie mehr heraus. Diese Erfahrung mache ich kein zweites Mal.
Da gefällt mir der Musketierstatus doch besser.
Danke dir, Federico.
lg
Lisa
Montag 2. Dezember 2013, 21:41
lisa64 hat geschrieben:Gehört auch zu meinem Selbstbild. Dürfte man ruhig mal hinterfragen...
mir wird schwummerig, das Tempo das Du vorlegst ist atemberaubend.
Chapeau aber immer im Bewusstsein, Du befindest Dich in der Euphoriephase.
Schwung mitnehmen ist gut und richtig – nur aufpassen muss man, dass
einen der Schwung nicht in eine ungewollte Umsaufbahn katapultiert.
Bremsraketen zünden, nur ein bisschen! Viel meditieren, machst Du das?
Wenn nicht, wird es höchste Zeit es zu lernen.
LG Federico
Montag 2. Dezember 2013, 22:28
Federico hat geschrieben:lisa64 hat geschrieben:Gehört auch zu meinem Selbstbild. Dürfte man ruhig mal hinterfragen...
mir wird schwummerig, das Tempo das Du vorlegst ist atemberaubend.
Chapeau aber immer im Bewusstsein, Du befindest Dich in der Euphoriephase.
Schwung mitnehmen ist gut und richtig – nur aufpassen muss man, dass
einen der Schwung nicht in eine ungewollte Umsaufbahn katapultiert.
Bremsraketen zünden, nur ein bisschen! Viel meditieren, machst Du das?
Wenn nicht, wird es höchste Zeit es zu lernen.
LG Federico
Bisher kein Grund zur Sorge von meiner Seite - Euphorie ist nicht vorhanden. Es gibt da ein Gleichgewicht zu beachten, das weiss ich, und das Gegenstück Ungleichgewicht habe ich auch kennen gelernt, als ich noch jünger und energiegeladener war. Mittlerweile bin ich recht moderat geworden, rein altersgemäss und aus Gründen der verfügbaren Energie hat sich das von selbst reguliert.
Ich werde auch bloss alle 7 Tage aufdosieren, um die UAW auf meine arbeitsfreien Tage verlegen zu können. Mag es länger dauern - kein Problem... und länger anhalten.
Meditieren hat mir bisher nie gut getan: Ich nahm vor 2 Jahren eine Weile an einer Gruppe teil, konnte mich aber all den Energien nicht entziehen, die sich da im Raum manifestierten. Ich musste immer kämpfen, das Bewusstsein oder meine Präsenz nicht zu verlieren. Keine Spur von Entspannung, in the end eher angststeigernd für mich. Mein Ausweg: Ich leg mich aufs Sofa, spüre die Schwerkraft überall, wo der Körper aufliegt, horche nach Körperbereichen, denen nicht wohl ist und verlagere dann meine Aufmerksamkeit auf "wohle" Körperempfindungen. Dabei beachte ich meine Atmung und versuche, meine Gedanken ziehen zu lassen. So gelernt während Cranio-Sitzungen, gangbar und hilfreich für mich zur Erdung und Entspannung.
Bremsraketen zünden steht zurzeit eher an im Bereich Beziehungskrise (musste ja mal kommen!!). Kostet mich gerade viel Gedankenenergie und noch viel mehr Schlaf. Heute Morgen bin ich deswegen zusammengeklappt (ok, konnte die letzten zwei Tage auch kaum was runterbringen) und arbeitete im home-office. So verheult und übernächtigt hätte ich nicht an der exponiertesten Stelle der Schule stehen wollen.
Und doch troz aller Krisenstimmung: ich bleibe bei Baclofen und spüre, dass es wirkt.
herzlich
Lisa
Dienstag 3. Dezember 2013, 00:32
Liebe Lisa,
wenn dir Meditieren nicht liegt / dir schwerfällt :
Kannst du vielleicht bei einer schönen Musik "abschalten", die Augen schließen, eventuell noch ein wenig Autogenes Training oder Progressive Muskelentspannung machen ?
Die "Bremsraketen" waren vielleicht etwas übertrieben, vielleicht reicht schon
"Gas wegnehmen".... (?)
Ganz liebe Grüße, Werner
Dienstag 3. Dezember 2013, 09:39
@Lisa
Ich will nochmals auf das Thema zurückkommen
Erstaunlich ist aber immer wieder, wie sich am Sonntag zuvor trotzdem Ängste und Befürchtungen einschleichen und mich beeinträchtigen können.
Ich habe das auch. Ich führe das zurück auf von Alkoholkonsum heraufbeschwörte Paranoia. Ich bin überzeugt, dass dies mit zunehmender Abstinenz vorübergeht. Aber das ist meine eigene Meinung.
LG
Patrick
Dienstag 3. Dezember 2013, 19:11
Noch so einer... geplagt von Ängsten, es würde etwas aufgedeckt, dass man um jeden Preis verstecken will, von der Angst nicht zu genügen?
Patrick, je t'embrasse!
bisous
Lisa, gerade mal wieder der Umsaufbahn entsprungen
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