Samstag 27. Oktober 2012, 18:26
Wer "nicht in die Welt paßt", der ist immer nahe daran, sich selber zu finden.
Hermann Hesse, Demian
Wie wahr. Leider gefällt mir das Fundstück dann oft nicht so gut. Ich hatte am Freitag einen urplötzlichen
Angstanfall der mich völlig unvorbereitet traf. Was ist passiert? Plötzlich wurde es dunkel, eingeschränktes Blickfeld, Herzrasen, Todesgedanken, wie in einem Film tauchten Ängste auf, die ich hier besser nicht ausbreite. Alles geschehen in gefühlten 5 Minuten. Es war wie ein Flashback, ich war so sicher diese Angst & Panikattacke nie mehr erleben zu müssen – es war für mich Geschichte. Einen Grund dafür gibt es nicht wirklich, vielleicht eine leise Ahnung. Die letzten Tage habe ich mich intensiv mit Depressionen beschäftigt, einfach so aus Interesse. Im Nachhinein denke ich, ich sollte das besser lassen.
Aus der vorbaclofenen Zeit kannte ich diese Angstanfälle nur zu gut, es gab aber durchaus Gründe. Gestern gab es keinen und das ist es, was mich so fassungslos macht. Depressionen fühlen sich anders an, sind schleichend und ich kann sie erkennen. Würde ich darunter leiden, könnte ein Medikament helfen. Was aber soll ich bei einem überraschenden Angstanfall machen, welches Medikament würde helfen und gibt es überhaupt eines für derartige Fälle? Gibt es natürlich aber Benzos würde ich nur äusserst ungern nehmen und bei ADs müsste ich Hellseher sein um eine kommende Attacke vorhersehen zu können. Also habe ich zum bekanntesten aller Medikament gegriffen.
3 lange Jahre ohne diese Attacken sprechen gegen Medikamente. So nehme ich es also hin, nehme es an, zu mir gehörend. Die beste Erklärung die ich finde ist immer noch das quengelnde „Innere Kind“. Was auch immer in den ersten 6 Lebensjahren passiert sein muss, ich werde es nie erfahren. Fakt ist, dass dieses Urvertrauen fehlt, nie da war und nie kommen wird. Alles was bleibt, ist irgendwie zu kompensieren, trotzdem zu leben und weiter zu ziehen. Vielleicht habe ich wieder etwas gelernt dadurch und vielleicht hat sich dadurch wieder ein neuer Sinn ergeben. Lektüre wie
Das Leiden am sinnlosen Leben (Viktor Frankl) hilft mir sehr dabei und natürlich das Forum. Es gibt immer wieder einen neuen Sinn zu entdecken, auch wenn es 5 Minuten vollkommen sinnlos erscheint. Que pasa? – no pasa – de nada. Nein, ganz so einfach ist es leider nicht.
Es gibt noch so viel zu tun, noch viel zu (er)leben. Selbsttranszendenz gelingt schon ganz gut nur mit der Selbstdistanzierung habe ich anscheinend noch gröbere Probleme. Es ist wohl eine der schwierigsten Lernprozesse über sich selbst Lachen zu lernen. Ich übe.
Im Schlechten das Gute sehen. So schnell wie dieser Angstanfall gekommen ist, so schnell ist er auch wieder verschwunden. Kann sogar sein, dass ich die Mechanismen der Dereflixion schon besser eingeübt habe, wie ich es von mir selbst annehme.
Fachchinesisch liest sich das so: In der Dereflexion wird die Aufmerksamkeit des Patienten von den "hyperreflektierten" Vorgängen abgezogen und auf Sinnmöglichkeiten hingelenkt, um beengende und neurotische bzw. neurotisierende Feedbackschleifen aufzubrechen. Es geht dabei weniger um eine Ablenkung, sondern primär um die Zuwendung zu lebenswerten Inhalten. Dereflexion soll nicht dazu verwendet werden, Probleme (z.B. innere Konflikte, Schuld) in Abrede zu stellen oder zu übergehen. Durch die Dereflexion soll die Person vielmehr aus der selbstschädigenden Selbstbeobachtung herauskommen und wieder zur Weltoffenheit finden. Sie ist ein Realisieren der menschlichen Fähigkeit zur Selbst-Transzendenz.
Feedbackschleifen aufbrechen und aus selbstschädigender Selbstbeobachtung herauskommen liest sich so leicht und ist doch so schwer. Wie es ohne Baclofen möglich sein soll, ist für mich keine Frage mehr. Die Schleifenperioden dauerten früher immer Wochen, manchmal Monate und der Weg aus dem Nebel zurück ins Licht war unendlich mühsam. Erst gestern sagte ich zu einem Forenmitglied am Telefon: „schau mal genau hin, wie sehr sich Deine Situation schon verbessert hat.“ Ich musste es mehrmals während des Gesprächs wiederholen bis er endlich sagte: „ja stimmt eigentlich, wenn ich mir das so überlege.“ 10 Minuten danach hat es mich erwischt.
Und, dass ich heute schon wieder schreiben kann, hätte ich gestern nicht geglaubt. Es geht mir gut, kann ich nicht sagen aber es geht mir bedeutend besser als gestern. Es gibt mich und meine Symptome, aber es gibt auch mich und mein Sein und die Welt da draußen!
In diesem Sinn, Tür zu und nächste geöffnet. Danke an alle die einen Beitrag geschrieben haben, in
jedem habe ich etwas gefunden, eingepackt und mitgenommen. Falls es jemanden beunruhigt haben sollte, täte mir das leid. Ich hätte es auch bleiben lassen können, für mich wäre es vielleicht einfacher gewesen, einerseits. Andererseits ist es gut zu wissen, dass es immer Komplikationen geben kann aber auch, dass sie im Gegensatz zu früher überwindbar geworden sind.
An dieser Stelle nochmal der Dank an Olivier Ameisen der Baclofen entdeckte und uns durch sein Buch den Zugang zu diesem Medikament ermöglicht hat.
LG Federico