@all
18 Monate...
Ein Zwischenbericht ist längst (über)fällig.
Kurz gesagt, es geht mir gut. Seit längerer Zeit fahre ich auf einer konstanten Dosis von 50mg/Tag. Dies verteilt über 6 Dosen mit Hauptgewicht in den Abendstunden. Im Grunde genommen würde weniger reichen um das Craving auszuschalten, jedoch gönne ich mir die Zugabe von ca. 20mg aus anderen Gründen (vegetative Entkopplung, tiefer und regenerierender Schlaf, Befreiung von unnötigen Ängsten). Die einzige störende Nebenwirkung ist eine plötzlich auftretende Müdigkeitsattacke. Sie kann intensiv sein, dauert jedoch meistens nur kurz. In der Rückblende stelle ich jedoch manchmal fest, dass ich aufgrund unregelmässiger Arbeitszeit öfters nur knappe 5h Schlaf habe und dies über ein paar Tage... In der Früh um 5 Uhr raus und Abends im Forum

oder bei einem interessanten TV-Programm. Wie ich von anderen höre, könne da anfallsweise Tagesmüdigkeit vorkommen...

Nun, Spass beiseite. Ich versuche die Wirkungen von 18 Monaten Therapie wie folgt zuammenzufassen:
Aus der Sicht meiner Nächsten
- Sehr ausgeglichen, in der "Mitte" mit einer angenehmen Ausstrahlung
- Meine Frau meint, dass ich endlich wieder "normal" bin...
- Schnellere Regenerationszeit nach Belastungs- und Stresssituationen
- Weniger emotionales Verhalten
- Belastbarer, ruhiger im Vorgehen
- als Beifahrer-in im Fahrzeug fühlt man sich wieder sicher (habe zum Glück nie einen Unfall gebaut, aber meinen Schutzengel gestresst...)
Aus eigener Sicht
Pro:
- Steigerung der Konzentrationsfähigkeit
- Meditative Stimmungen
- Subtilere Wahrnehmung von Klängen, Geräuschen, Musik und paradoxerweise auch der Stille
- Seit ein paar Monaten hat sich das Raubtier Craving immer mehr zurückgezogen. Ich glaube nun, wir beide haben gemerkt, dass wir einander am besten in Ruhe lassen... eine Zeitlang hörte ich den Panther manchmal noch im Dunkeln durch die Büsche schleichen.
- Ich gehe gelassener an eine Arbeit
- Die Zeit vergeht schneller
- Ich kann mir ohne zu leiden die Freiheit nehmen an Anlässen auf Alkohol zu verzichten. Ich habe keine Probleme mit den anderen, höchstens sie mit mir...
Contra:
- Für meine Begriffe zeitweise fast "zu ausgeglichen" und emotionsarm
- Ein gewisses "Laissez-faire" im Sinne von "Morgen ist auch noch ein Tag" passt nicht so recht zu meiner bisherigen Einstellung.
- Der Gedanke, dieses Medikament möglicherweise für den Rest meines Lebens zu schlucken oder andererseits rückfällig zu werden schränkt meine Freiheit etwas ein. Natürlich könnte ich beim Betablocker derselben Ansicht sein... Die Hoffnung eines Tages wirklich frei zu sein lässt mich jedoch immer wieder aufblicken.
- Mit der heutigen Erfahrung würde ich mich nicht mehr "outen". Man erspart sich damit unnötige Vorurteile.
Zusammenfassend jedoch kann ich guten Gewissens sagen, dass Baclofen das beste ist was mir passieren konnte. Ich habe selber keine Erfahrung mit stationären Aufenthalten und die extreme Tragik, welche sich hinter der Alkoholkrankheit verbirgt, wurde mir erst durch dieses Forum richtig bewusst. Aber ich weiss auch aus meiner relativ kurzen Abhängigkeitsphase von ca. 3 Jahren und einer der Bac-Zeit vorausgehenden 1 jährigen "Abstinenzphase" was Craving heisst und wie es sich anfühlt, morgens nach dem Erwachen, wenn kein Stoff mehr im Hause ist...
Diese Befreiung ist wie das Anbrechen des Tages nach einer langen Nacht.
Ob und wann ich mir mal EIN normales Bier oder Wein gönnen werde ist momentan unbestimmt. Es ist eine auf die lange Bank geschobene Option. Seltsamerweise wurde mit der Zeit diese Bank immer länger...
LG moonriver