aus dem Alkoholfreiblog
8.4.2010 von Oliver.
Beim Cutdown-Drinking wird die Trinkmenge schrittweise reduziert. Bei vielen Menschen funktioniert dieser „andere Weg“ wunderbar.Cutdown-Drinking ist eine neue Therapie für Trinker. Der Alkohol wird nicht, wie bei herkömmlichen Therapien üblich, abrupt von heute auf morgen abgesetzt, sondern langsam, schrittweise. „Es geht zunächst um eine stufenweise Reduktion der Trinkmengen“, erläutert Univ.-Prof. Dr. Henriette Walter, Sucht- und Hypnose-Expertin sowie Psychiaterin am AKH Wien.Bei vielen Menschen, so die Fachfrau, die sich seit Jahren mit Alkoholentzug beschäftigt, funktioniere dieser „andere Weg“ wunderbar. „Oft viel besser, als wenn sie von heute auf morgen gar nichts mehr trinken dürfen.“
Vor die Wahl gestellt, entscheiden sich 80 Prozent der Betroffenen für das Cutdown-Drinking. nur 20 Prozent ziehen den radikalen Entzug vor. Einer ihrer Patienten habe täglich bis zu 18 Flaschen Bier getrunken. Nach einer sechsmonatigen Behandlung sei er nun bei einer täglichen Flasche angelangt. „Wenn keine Sucht vorliegt, könnte man bei dieser Menge bleiben“, sagt Walter. Besteht allerdings ein Suchtpotenzial, wird die Dosis unweigerlich wieder sukzessive erhöht werden. „In solchen Fällen ist unbedingt absolute Abstinenz anzustreben.“
Einer der großen Vorteile des langsamen Alkoholentzuges, den Walter seit rund einem Jahr an der Wiener Universitätsklinik für Psychiatrie Betroffenen anbietet, ist das weitgehende Fehlen von Entzugserscheinungen. „Denn die Trinkmenge wird ja bereits vor dem eigentlichen Entzug verringert, damit ist dieser auch mit deutlich weniger unangenehmen Nebenwirkungen behaftet.“Wird der Alkohol aber mit einem Schlag von heute auf morgen abgesetzt, kommt es im Schnitt für fünf Tage zu Unruhe, Zittern, übergroßer Nervosität, Ängstlichkeit und Schlafstörungen. In Extremfällen können auch Halluzinationen, paranoide Störungen, Übererregbarkeit des Gehirns, epileptische Anfälle oder stärkste Unruhe die Folgen sein. All das kann die sanftere Entzugsmethode lindern oder sogar ganz verhindern. Vorbedingung für solch ein Vorgehen sei ein Klima, in dem sich der Patient geborgen fühlen kann, und bei dem therapeutische Hilfe (und nicht Bestrafung bei Nichterfüllung der Vereinbarung) das oberste Credo ist.
Vier Typen von AlkoholkrankenVerbessert das die Erfolgsquote? „Nein, die ist bei beiden Methoden in etwa gleich. Das Geniale am Cutdown ist, dass die Patienten weniger unter Zwang stehen. Ich persönlich finde diese Methode humaner.“ Expertin Prof. Dr. Henriette WalterVon Walters bisher 30 Patienten, 15 Frauen und 15 Männer, haben es rund sechs nicht geschafft, darunter nur eine einzige Frau. Liegt Frauen das Cutdown-Drinking also mehr als Männern? „Das kann man so nicht sagen. Frauen brauchen in der Regel länger, bis sie sich zu einer Entzugstherapie entscheiden, aber, wenn sie sich einmal durchgerungen haben, sind sie entschlossener.“ Die Cutdown-Drinking-Behandlung setzt sich aus medikamentöser Therapie, Gesprächen, dem Führen eines Trinktagebuches und Psychotherapie zusammen. „Ich biete zweimal die Woche eine spezielle Hypnosegruppe an.“Am Beginn jedweder Therapie steht jedoch die Eingangsuntersuchung, deren Ausgang die individuelle Behandlung bestimmt.
„Es gibt nach Univ.-Prof. Dr. Otto Lesch vier Typen von Alkoholabhängigen, und die sind sowohl medikamentös als auch psychotherapeutisch anders zu behandeln.“
Beim Typ I hat sich oft aus einem gesellschaftlichen ein Gewohnheitstrinken entwickelt. Walter: „Typ I verstoffwechselt den Alkohol obendrein schlechter. Der sollte wirklich totale Abstinenz erreichen, sonst wird er das Problem nie lösen können.“
Typ II ist eher jener, der Bier oder Wein zur Angst- und Konfliktlösung einsetzt. „Da besteht häufig keine ausgeprägte Sucht. Wenn solche Patienten eine Psychotherapie absolvieren und so ihr Angstproblem lösen, benötigen sie Alkohol nicht mehr. Und wenn sie dann hie und da wieder ein Glas trinken, hat das keinen negativen Einfluss.“
Typ III greift zum Glas, um psychiatrische Störungen, wie Stimmungsschwankungen oder Schlafprobleme, zu „behandeln“. Lebensstiländerung und Antidepressiva sowie Psycho- und Hypnosetherapie können dabei sehr hilfreich sein. Bei Erfolg verliert auch hier der Alkohol als vermeintliche „Selbstmedikation“ seinen Stellenwert.Da scheiden sich die Geister.
Beim Typ IV gehen psychische, körperliche oder soziale Schäden dem Alkoholkonsum voraus. „Der war vielleicht als Kind Bettnässer oder ist geschlagen oder gar missbraucht worden“, schildert Walter. Bei Typ IV sei vollkommene Abstinenz sehr schwer zu erreichen. „Der wird, nach abstinenten Phasen, häufig wieder rückfällig.“ Ein „normaler“ Umgang mit Alkohol sei hier nur schwer zu erzielen.Wobei sich bei der Frage, was ein „normaler Umgang“ ist, auch die wissenschaftlichen Geister scheiden. Während die eine Expertengruppe zum täglichen Achterl als Herz- und Gefäßschutz rät, spricht die andere bei täglichem moderaten Alkoholkonsum schon von Suchtgefährdung.
AUF EINEN BLICK
■Cutdown-Drinking, eine Therapie für Alkoholabhängige, wurde von dem finnischen Forscher Univ.-Prof. Dr. David Sinclair entwickelt: Vor dem eigentlichen Entzug wird die Trinkmenge sukzessive reduziert und so eine Distanz zum Alkohol erreicht. In Wien wird diese Therapievariante am AKH angeboten.
■Vorteile: Da die Trinkmenge bereits vor dem Entzug verringert wird, können Entzugssymptome und unangenehme Nebenwirkungen weitgehend vermieden werden. Darüber hinaus steht der Betroffene weniger unter Zwang, Experten sprechen von einer humaneren Methode. (”Die Presse”, Print-Ausgabe, 01.09.2009)
_________________ „Es gibt keine Alternative zum Optimismus, Pessimismus ist Lebensfeigheit.“ Richard David Precht
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