Dienstag 24. September 2013, 14:51
Liebe Elfie, lieber Volker und auch lieber Federico,
natürlich habt Ihr Recht, vom Kopf her

leuchtet mir sowieso alles ein. Nun ist es aber nicht leicht, 40 Jahre gelebtes Leben von dem einen Tag auf den Anderen abzulegen. Und ganz ehrlich: ich werde auch den Teufel tun, alles an Gefühlen zuzulassen, was jetzt so zutage tritt. Dafür fehlt es mir schlichtweg an Dingen, die ich dem entgegensetzen kann.
Es klingt auch dramatischer, als es ist. Mit meinem Kumpel Rotwein habe ich mich in den letzten Jahren so zurückgezogen (und auch zugeschüttet), dass mich nur wenig an Verletzungen erreichen konnte - außer die, die ich mir selbst zugefügt habe (und dies meine ich nicht im Sinne körperlicher Verletzungen).
Die Zeit wird es richten, auch die GGG. Vieles schreib ich mir auch einfach von der Seele; hier, in Form von Kurzgeschichten, ein Roman ist fast fertig und wird gerade überarbeitet. Gerade weniger, mir fehlt der Alkohol, um mich beim Schreiben fallen zu lassen.
Beim Aufräumen ist mir nachfolgende Kurzgeschichte in die Hände gefallen, die ich mit 15 oder 16 geschrieben habe. Den Titel habe ich neulich geändert, weil mir dieses Lied hier
http://www.youtube.com/watch?v=C8tlXsdka30 dazu gut gefiel. Wayne es interessiert, der mag es lesen, ins Forum paßt es wohl nicht.
Liebe Grüße
Kuni
Andere HändeEs hatte gar nicht lange gedauert und eine riesige Menschentraube hatte sich um ihn versammelt. Ihr Geschwätz drang in sein Ohr und doch verstand er nicht, was sie redeten. Lediglich die Schwingungen ihrer Stimmen krochen an seinem Körper hinauf. Einige sprachen bestürzt, beinahe verzweifelt. Andere wiederum sensationslustig, als würden sie ihn am liebsten anfeuern wollen. Eine kleinere Gruppe stand nur stumm da. Deren Zwiesprache getränkt mit Mitleid und Angst fühlte er auch.
Er sah auf seine Schuhe, die er wie immer sorgfältig geputzt hatte. Seine ersten Eltern hatten ihm dies beigebracht. Glücklich sollen sie gewesen sein, als sie ihn aus dem Kinderheim abgeholt hatten. Endlich hatten sie das Baby bekommen, auf das sie schon so lange gewartet hatten. Ihr Glück verdoppelte und verdreifachte sich, als seine Mutter eigene Kinder gebar und für ihn fehlte plötzlich der Platz.
In allem, was er tat, entdeckten sie plötzlich „ihre Gene“, die sie ihm auch mit Schlägen nicht austreiben konnten. Also musste er wieder weg. Dies war das erste Mal, dass er zurück ins Kinderheim kam, zwei Tage nach seinem sechsten Geburtstag.
Die nächsten Eltern waren schnell gefunden. Sie wollten ihn, weil gerade kein Baby frei war. Drei schöne Jahre hatte er dort verbracht, bis der Vater die Mutter verließ. Er hatte ihre Vorwürfe nicht mehr ertragen, dass sie nur ihn hatten und kein eigenes Baby. Schließlich hatte es ja am Vater gelegen. Als er weg war, hat sie ihn auf die Straße gesetzt. Herausgelassen wie einen Hund an der Straßenkreuzung, weil er plötzlich nur noch störte.
Er war nicht zurück ins Heim gegangen. Mit neun Jahren war er alt genug gewesen, auf der Straße zu leben. Und er fand viele ältere Freunde, die ihn mit ihren Zuwendungen immer älter machten. Aber dies war nicht schlimm gewesen, da er seine Kindheit schon längst verloren hatte.
Später, als er auf der Straße gesessen hat und sich seine Tagesration Essen erbettelt hat, musste er ihre Blicke sehen. Die meisten haben weggeschaut, was er verstehen konnte. Wer blickt schon gern ins Elend, wenn es zurückblicken könnte. Einige hatten ihm gesagt, dass er selbst Schuld sei, wenn er nicht arbeiten gehen würde. Schließlich sei er ja jung und Arbeit schändet nicht. Er hatte ihnen nicht widersprochen, denn wer würde ihn schon hören wollen.
Irgendwann hatten sie ihn dann wieder eingefangen und gesagt, dass er es nun besser haben würde. Es hatten sich sogar wieder Eltern gefunden, die ihm ein Zuhause gegeben hatten. Manchmal hatte er sogar geglaubt, dass sie ihn lieben würden, was sie auch von ihm einforderten. Nur hatte er da schon lange vergessen, was das ist. Er hatte nur noch Wut gefühlt, die die Leere in ihm gut verdeckte. Die Eltern hatten ihn trotzdem nicht aufgegeben, was seinen Zorn nur noch verstärkt hatte. Er war nichts Wert, dies mussten sie doch sehen. Gestern hatte er die Hand erhoben, um der Mutter sein Verständnis von Liebe zu zeigen. Der Ausdruck in ihren Augen hatte ihn erinnert an ein Gefühl, dessen Namen er nicht mehr kennen wollte.
Und jetzt stand er hier und sah auf seine gut geputzten Schuhe. Millimeter um Millimeter rückte er auf der Brückenmauer nach vorn, bis er die Erdanziehungskraft im Magen spüren konnte. Unter ihm rauschte der Fluss und versprach, ihn zu neuen Ufern zu bringen.