In Bezug auf die folgenden Threads habe ich eine kleine Weihnachtsgeschickte geschrieben, da die ersten Lebkuchen in den Geschäften auftauchen
http://www.alkohol-und-baclofen-forum.de/viewtopic.php?f=40&t=1301http://www.alkohol-und-baclofen-forum.de/viewtopic.php?f=40&t=1297&start=30Ok, ich habe über Nacht meine Gedanken etwas geordnet und versuche meine Sicht direkter und klarer auszudrücken, aber da wir alle einen zu großen Bezug zu Alkohol haben, benutze ich Metaphern.
Das Problem sehe ich eben in dem Therapieziel, oder eher der Wahl dieses durch den Therapierten. Dieser wird nämlich besonders am Anfang, aber auch später dieses Ziel des „mal ein Glas“ immer im Hinterkopf haben, wie ein Kind an Weihnachten es nicht erwarten kann, bis es das unter dem Baum liegende Geschenk öffnen darf und dabei all seine Vorfreude darauf fixiert, das umgebende Schöne aber abgedämpft erscheint, oder gar nicht wahrgenommen wird. Und auch wenn da wieder nur Socken im Paket waren, so konzentriert das Kind seine Erwartungen und Hoffnungen auf das nächste Weihnachten und das nächste Geschenk. Aber auch wenn da drin das gewünschte Geschenk gewesen ist, so nutzt sich die Freunde darüber recht schnell ab. Beides weil die Vorfreude und der Moment des Auspacken die stärksten Gefühle hervorrufen.
Mit den Jahren wächst es auf und lernt auch die anderen Freuden zu schätzen, den leckeren Kuchen, die Geselligkeit der Familie und Freunde und so verblasst die Bedeutung eines Geschenkes an sich als kulminativen Punkt der Weihnachtszeit. Als Erwachsener freut er sich sogar über die Socken, nicht weil er gerade welche gebraucht hätte, sondern weil ihn die Freude der anderen freut und dass an ihn gedacht wurde.
Kleine Geschichte zwischendurch: Ich habe als ein kleiner Junge meinem Vater zum Geburtstag etwas schenken wollen, hatte aber kein Taschengeld und Basteln war nie meine stärke. Da Kinder allgemein zerstreut sind, kam auch der Tag schneller als gedacht und so stand ich da ohne ein Geschenk. Da mein Vater recht viele Krawatten besaß und ich ihm unbedingt etwas schenken wollte, was er auch gerne gemocht hätte, zog ich eine von ganz unten hervor, verpackte diese so schön ich nur konnte und übergab ihm mit einem mulmigen Gefühl. Er freute sich riesig und ehrlich und lobte ausdrücklich meinen guten Geschmack. Ich war auch sehr glücklich, weil ich glaubte das richtige Geschenk hätte ihn glücklich gemacht

Übertragen auf ein Weihnachtsgeschenk passiert beim Süchtigen folgendes: er hat es nie gelernt oder verlernt an Weihnachten seine Freude aus anderen Sachen zu ziehen, als dem Geschenkeauspacken. Er braucht diese Vorfreude und das starke Gefühl beim Auspacken. Diese überlagern alles andere. Es ist so stark, dass er anfängt sich innerhalb des Jahres auch beschenken zu lassen und irgendwann beschenkt er sich sogar selbst. In den Geschenkpaketen sind aber immer nur Socken. Aber das spielt keine Rolle, weil das Gefühl der Enttäuschung inzwischen auch sehr stark geworden ist und den Drang nach starken Gefühlen kann er eben nicht kontrollieren. Im Hinterkopf schimmert aber eigentlich der Wunsch und die Hoffnung irgendwann eine Überraschung zu erleben und etwas anderes im Paket zu finden, als nur Socken. Eigentlich ein absurder Wunsch, da er selbst sich ja nur Socken schenkt.
Beim Alkoholiker mit baclofen sieht es etwa so aus: Er startet die Medikation unter unglaublichem Leidensdruck, erkennt recht schnell den positiven Effekt von baclofen, damit verschwindet der lästige Leidensdruck und schon regt sich der Gedanke, dass kontrolliertes Trinken doch möglich ist. Dabei denkt der Alkoholiker aber nicht an das immer wieder gralsähnlich vorgeführte „Glas Wein“, sondern er sieht darin eine Flasche, oder den Effekt dieser, an den er sich ja bestens erinnert, aber jetzt hofft er auf diesen eben ohne die zerstörerischen und lästigen Folgen, die ihm baclofen leider nicht nehmen kann. So startet der Alkoholiker enttäuscht einen neuen Versuch sein Ziel des kontrollierten Trinkens zu erreichen und dabei hört er „Geduld, Geduld, Geduld“. Und so wird dieses wirkungsvolle Mantra zum aufrechterhalten des Teufelskreises verbraucht und hält ihn am kreisen.
Ich halte deshalb das Ziel „mal ein Glas Wein“ oder MT als falsch deklariert. Du bekommst als Lohn der Mühe die gesellschaftliche Akzeptanz zurück, indem Du nicht als Alkoholiker sofort stigmatisiert wirst, weil Du nicht mittrinkst, sondern das Glas Wein in die Hand nehmen darfst, ohne Folgen befürchten zu müssen und damit signalisierst „Ich gehöre dazu“. Es ist auch ein sich abzeichnen von den AA und dem allgemein vorherrschenden Bild eines trockenen Alkoholikers. Hier liegt nämlich aus meiner Sicht das echte Ziel, in so einem Moment entscheiden zu KÖNNEN, ob ich mein Selbstbewusstsein demonstriere und nicht mittrinke, oder mich einfach in das Umfeld einfüge. Beides ohne sich selbst oder vor anderen rechtfertigen zu müssen.
Und das ergibt aus meiner Sicht keine 2 möglichen Ziele, sondern immer das Ziel der Abstinenz, ohne das Risiko eines echten Rückfalls, wenn man mal einen Vorfall hat. Und das lässt einen auch selbstbewusst das „Glas Wein“ in die Hand nehmen, weil er keine Angst vor einem echten Rückfall haben muss. Wie ein „gesunder“ Mensch (oder besser: nicht vorbelasteter), der so einen Vorfall auch einfach abhacken würde und mit seinem gesunden Leben weiter macht.
Ich fragte:
„Was soll baclofen jetzt eigentlich sein? Ein Medikament, dass einen Menschen befähigt frei von Abhängigkeit durch ein Stimulans sein Leben ab jetzt zufrieden zu gestalten, oder ein Wundermittel, dass einen quasi zurück „Auf Los“ versetzt, um neu anzufangen.“
Darauf antwortete invorio:
„Beide Alternativen wären super. Die Wahrheit ist: weder, noch; aber möglicherweise auch beides. Liegt an dir.“
Aus Sicht eines Therapeuten wäre es wohl wünschenswert, dass beides möglich ist, aber aus meiner Sicht ist die zweite Möglichkeit absurd, denn beim Alkoholiker wird dank baclofen zwar das unmittelbare Verlangen nach dem Suchtstoff gelöscht, aber die Erinnerung an die positiven und negativen Effekte nicht. Ein „zurück auf los“ gibt es da nicht und darf es für mich nicht geben, weil mein Selbstvertrauen eben aus der Summe meiner Erfahrungen erwächst. Der Wunsch des Neuerlernen eines Genusses des Suchtstoffes ist aus meiner Sicht pervers, aber aus Sicht eines Therapeuten wohl das non plus ultra.
Aber zurück zu den Socken:
Der trockene Alkoholiker meidet jeden Kontakt zum Beschenken an sich, weil er die Socken fürchtet und genau weiß, dass er welche im Paket finden, sowie sich dann im Anschluss unkontrolliert wieder mit welchen beschenken wird. In seinem Haus finden Feiern ohne Geschenke statt, seine Frau und Kinder bekommen keine Geschenke und tragen keine Socken, in Urlaub fährt er nur an Orte wo keine Socken getragen werden und Essen geht er nur, wenn er vorher abgestimmt hat, dass der Kellner ohne Socken und keinen Nachschlag servieren wird. Er meidet auch jede Situation, wo Geschenke verteilt werden, obwohl er immer noch und ständig davon träumt, beschenkt zu werden und mal endlich keine Socken im Paket zu finden. Er leidet weiterhin, weil die Welt um ihn herum sich nun mal gerne beschenkt und auch Socken trägt, ohne da drunter zu leiden. Er feiert kein Weihnachten.
Der baclofenist mit Wunsch MT will sich beschenken lassen, will keine Socken bekommen, fürchtet diese auch weiterhin und ist sich bewusst, dass er sich deshalb nicht einfach drauf los beschenken kann. Er schafft es auch, dank baclofen nicht ständig an Geschenke zu denken. Sein Traumzustand ist der Weihnachtsabend an dem er ein Geschenk auspackt und da drin irgendetwas anderes findet als Socken. Das wäre nach seiner Vorstellung der perfekte Weihnachtsabend. Aber auch das zwischendurch beschenken würde er gerne genießen. Um dies zu erreichen, plant er dies sorgfältig und verpackt eben keine Socken. Jetzt darf er zusammen mit dem Umfeld sein Geschenk auspacken und füllt sich nicht ausgeschlossen. Es ist nicht das Gefühl des Auspackens und der Vorfreude ,das ihn dabei etwas befriedigt, da er sehr aufpassen musste, dass sein Paket nicht vertauscht wurde oder irgendetwas anderes schiefläuft, aber eben die Integration in die Gruppe gibt ihm Befriedigung und dass er mal mitauspacken durfte und keine Socken fand. Das hat ihm ausgereicht und das ist der erfolgreiche MT-baclofenist. Dem nicht erfolgreichen hat es nicht ausgereicht und er wollte im Anschluss sofort weitere Pakete auspacken, oder verwechselte seins und fand aber selbstverständlich nur wieder Socken, wurde enttäuscht und sagt sich „MT funktioniert nicht“.
Der baclofenist ohne Wunsch MT verabschiedet sich vom Beschenken und beschenkt werden. Mit der Zeit merkt er aber, dass ihm das Umfeld des Beschenkens keine Probleme bereitet und auch nicht, wenn da Socken verschenkt oder getragen werden. Er hat kein Problem damit, wenn seine Frau mal Socken geschenkt bekommt und sucht auch nicht nach kontrolliertem Beschenken, weil ihm der Sinn darin fehlt. Er will eben keine Geschenke und will ohne diese akzeptiert werden, auch wenn das Umfeld welche von ihm erwartet und enttäuscht reagiert. Falls er mal doch beschenkt werden sollte, trägt er die Socken eben einen Tag und wirft diese weg. Aber auch wenn im Paket keine Socken waren, so nimmt er es zwar erstaunt auf, aber misst dem keine Bedeutung bei, weil sein Ziel und sein Weg eben der des Nichtbeschenktwerdens ist und dieser für ihn dauerhaft funktioniert hat.
Und ein gesunder und unvorbelasteter Mensch? Der feiert sein Weihnachten im Kreis der Familie, hilft schon bei den Vorbereitungen, genießt den Kuchen, die leckeren Speisen, die Vorfreude der Kinder und das Geschenkeauspacken ist nur eine Freude von vielen an diesem Abend. Und manchmal bekommt auch er Socken geschenkt
