Samstag 26. März 2011, 20:28
Von Olivier Ameisen und baclofen habe ich schon vor längerer Zeit gehört, z.B. bei stern.tv. Habe dabei sehr hoffnungsvoll aufgehorcht und wurde dann skeptisch, da das Thema wieder aus den Medien verschwand. „Das hätte man doch sicher sofort weltweit dankbar aufgegriffen, wenn es wahr und nachvollziehbar wäre“, habe ich mir gedacht. Dazu kam meine allgemeine Skepsis bei Medikamenten jeder Art, die ich meide, so gut nur möglich, um meinen Willen und den Körper nicht fremdsteuern zu lassen. Welch eine Ironie in Anbetracht meines Alkoholismus

Da der Leidensdruck der letzten Jahre mich doch sehr mürbe gemacht hat, aber die bisherigen Versuche Hilfe zu finden sehr ernüchternd endeten, vor allem im Hinblick auf die so enttäuschenden Ergebnisse der gängigen Entwöhnungspraxis nach Jahrzehnten, starte ich eine längere Recherche über diese „Wunderpille gegen Alkoholismus“, die mal durch die Medien geisterte.
Mit Interesse lese ich die Berichte der „Verrückten“, die sich ein Medikament selbst verabreichen, das sie in irgendwelchen Internetshops besorgen und welches zu „Atemstillstand führend kann“. Besonders unglaubwürdig lese ich, dass die meisten angeblich nach einiger Zeit eine „Gleichgültigkeit gegenüber Alkohol“ entwickelt haben wollen. Also doch ein leben in Abstinenz, diesmal nicht durch ständigen Kampf mit sich selbst und Dauerleiden, sondern durch „lebensgefährliche“ Medikamente. Zumindest soll es nicht abhängig machen und da, laut einem zufällig gefundenen Bericht eines Krankenhauses, sogar bei sehr starker Überdosierungen und Vergiftungen mit baclofen kein Todesfall zu verzeichnen war (
www.dbc.wroc.pl/Content/2130/15_Magd.pdf ), werde ich bei kleiner Dosis wohl nicht sterben und auch nicht meine Sucht durch eine andere Sucht bekämpfen

Nachdem ich schon seit Wochen im alkohol-und-baclofen-forum.de gelesen und mich auch anderweitig recht umfangreich informiert habe, mich dabei die doch überwiegend so positiven Berichte aus mehreren Trinkphase rausmotivierten, beschließe ich endgültig, die Medikation mit baclofen zu starten.
Seit 01.03.2011 trocken und recht stabil, bis auf starkes craving am Freitag und Samstag. Dank der Motivation und der Perspektive der Medikation mit baclofen, war die Entscheidung gegen Alkohol dann doch stärker, der Kampf mit sich selbst aber sehr anstrengend. Ansonsten wäre ich bis Sonntag dicht.
Donnerstag, 03.03.2011, beim Hausarzt gewesen. Blutwerte und allgemeiner körperlicher, wie auch geistiger Zustand gut. Habe ihm dann über die Baclofen Medikation erzählt. Dies war ihm in Bezug auf Suchtbehandlung nicht bekannt, will mich aber darin unterstützen.
Montag, 07.03.2011, nächster Termin mit Unterlagen und Informationsmaterial vorlegen. Vereinbarungen unterschrieben. 2 Rezepte off-label (Privatrezept) ausgestellt bekommen, eins mit 100 Stück a 10mg und eins mit 100 Stück a 25mg. In der Apotheke bestellt und bezahlt. Als günstigste Version beides zusammen zu 41 Euro.
08.03.2011
Baclofen um 08:00 abgeholt und mit dem Königsweg gestartet. Eine 10er geteilt und 5mg mit dem Frühstück eingenommen. Handyalarm auf wiederkehrende Zeiten eingestellt (08:00, 15:00, 20:00).
Wohlbefinden sehr gut, auch schon durch die eine Woche mit gutem Schlaf zu regelmäßigen Zeiten. Schlafe durch. Fühle mich morgens gut erholt und voller Energie/Tatendrang.
Keine Euphorie, lediglich große Vorfreude auf das Kommende. Wobei aber die Libido runtergesetzt ist. Das aber liegt wohl nicht an baclofen, da ich dieses bereits seit einigen Monaten bei Entgiftungen beobachte. Werde mal mit dem Arzt darüber reden müssen.
09.03.2011
Wohlbefinden sehr gut. Die regelmäßigen Schlafenszeiten helfen sehr gut bei der Umstellung des Tagesablaufes. Ich bleibe eben in der Nacht nicht vor dem PC „hängen“.
Kaffeekonsum gesteigert, 5-6 Becher Kaffee über den Tag verteilt, 1-1,5l Wasser dazu. Wobei ich ansonsten in den Trinkphasen keinen Kaffee getrunken habe, lediglich Wasser, da ja durch den Alkohol der Körper dehydriert genug war.
Heute Blutdruck gemessen. 90-100/65-75, was wohl niedrig ist. Ansonsten hatte ich nach 1-2 Tagen Entgiftung und in den Trinkphasen 140/110. nach 2-3 Tagen Entgiftung sonst 120/85. Werde noch paar Tage abwarten und die Wirkung von Baclofen beobachten, bis ich auf einer dauerhaften Dosis bin und dann mit Sport und Bewegung anfangen, um den Kreislauf in Schwung zu bringen.
Abends sehr starkes craving. Wollte nur eine DVD in die Videothek bringen, aber unterwegs Vodka-Feige und 4 Elephant gekauft, ganz nach dem üblichen Ablauf der letzten Jahre. Halbe Flasche und 3 Bier in 3 Stunden ausgetrunken. Rest weggeworfen. Selbstvorwürfe? Wenig. Kampf mit mir selbst vor dem Kauf war da. Nach der Entscheidung zum Trinken aber ist diese Episode abgehackt. Die „Entscheidung“ zum Trinken war von dem sehr starken craving motiviert.
10.03.2011
09:30 Dosis weiter genommen (5mg). Stimmung gut und optimistisch. Keine Gedanken an gestern Abend. Die Medikation geht weiter. Später am Abend wieder extremes craving. Wieder Vodka-Feige geholt und 5 Bier. Halbe Flasche geleert und die Bier ausgetrunken. Baclofen hat in der kleinen Menge auf mich keine spürbare Wirkung.
11.03.2011
Heute auf 10mg erhöht. Die Dosis fängt wohl erst ab jetzt an zu wirken. Kein craving spürbar. Keine Gedanken an Alkohol.
12.03.2011
Weiter bei 10 mg. Weiterhin null craving. Keine Nebenwirkungen. Allerdings habe ich starke Lendenwirbelschmerzen bekommen, wie noch nie. Richtiger Hexenschuss, der über den Tag nicht abklingt. Erst mit heißem Bad klingt der Schmerz etwas ab. Ob das mit baclofen zu tun hat, kann ich nicht bestimmen. Mit der Lockerung der Rücken- und Bauchmuskulatur könnte es vielleicht zusammenhängen. Auch abends kein craving.
13.03.2011
Heute der dritte Tag mit 10 mg. Craving vormittags nicht spürbar, wobei ich ja nie vormittags getrunken habe. Ich hoffe, dass die Wirkung anhält. Bis auf den leicht abgeklungenen Rückenschmerz, keine Nebenwirkungen, mit Ausnahme der allgemein trockeneren Haut, vor allem an den Händen.
14.03.2011
Rückenschmerzen nur noch leicht spürbar. Steigerung auf 15mg. Nebenwirkungen keine, bis auf eine leichte Schläfrigkeit. Abends (21:00) bei der Einnahme der letzten Tagesdosis spürbares craving. 5mg nachgeworfen.
15.03.2011
Weiter mit 15mg. Trotz 7 Stunden Schlaf bin ich ab ca. 13:00 schläfrig und die ganze Zeit kurz vor dem Einnicken. Trotz Einnahme von 15mg um ca. 14:00 spüre ich ein leichtes craving/Hibbeligkeit. Die Müdigkeit hält an. Über diesen gefühlsmäßigen Widerspruch bin ich dann doch recht verunsichert, bis ich nachrechne, dass ich seit 08:00 6 große Becher Kaffee getrunken habe

Falls es morgen diese Müdigkeit gibt, werde ich um die Zeit ein Nickerchen machen. Ansonsten keine Nebenwirkungen. Abends diesmal kein craving.
16.03.2011
15mg am morgen. Sehr positiv gestimmt und froh, dass baclofen anscheinend endlich eindeutig wirkt. Heute wird der Kaffeekonsum eingeschränkt und die Selbstbeobachtung fortgeführt.
Über den Tag verteilt nur 4 Kaffee getrunken, keine Hibbeligkeit. Ein ganz leichtes craving in 2-3 Momenten und nach einem Gespräch mit einem Familienangehörigen über meine Medikation, durch die Erinnerung an all die Sauferlebnisse, wieder Gedanken ans Trinken. Diesmal war es ungewöhnlich einfach dem zu widerstehen. Keine große Willensanstrengung.
Sehr ungewöhnlich ist auch, was ich an Zeit bewusst zur Verfügung habe. Endlich erledige ich Wichtiges, ohne mich dazu überwinden, oder zwingen zu müssen. Auch das längere Tageslicht, dass ich abbekomme, scheint mir sehr gut zu tun. Müdigkeit während des Tages am dritten Tag nach Dosissteigerung nur noch sehr leicht.
17.03.2011
Steigerung auf 20mg. Mal sehen, ob ich es unproblematisch vertrage. 15Mg waren zumindest schon sehr gut, ohne wirkliche Nebenwirkungen. Runterdosieren kann ich dann immer.
Abends kein craving, allerdings sehr schläfrig.
18.03.2011
Weiter mit 20mg, keine Nebenwirkungen spürbar. Der Schlaf 6-8 Stunden durch ist sehr erholsam. Und was ich heute verwundert festgestellt habe: Ich kann mich an jeden Tag der vergangenen 2 Wochen erinnern (auch an die Sauftage

). Was für ein tolles Gefühl, dass das Selbstbewusstsein kräftigt

Und zwar so stark, dass ich meinte am Nachmittag (ohne Einfluss von craving) wieder etwas trinken zu dürfen. 5 Bier ausgetrunken über den Abend verteilt. Baclofen verstärkt die Wirkung von Alkohol definitiv. Medikation fortgeführt.
19.03.2011
20mg. Wirkung nach Saufen definitiv sedierend. Allerdings habe ich, im Gegensatz zu den letzten Jahren, kein craving am Tag nach Alkoholkonsum. Dafür extreme Kopfschmerzen und musste mich übergeben, was in 10 Jahren nach Saufen nicht vorkam. Anscheinend verstärkt Baclofen nicht nur die Wirkung von Alkohol, sondern auch die Entgiftungserscheinungen danach. Wobei ich jetzt jeweils 1 Woche Pause zwischen den Sauftagen hatte, was sich wohl auch auswirkt.
20.03.2011
Steigerung auf 25mg. Leichte Kopfschmerzen, spürbare Sedierung. Werde wohl auf 15-20mg runtergehen. 15-15-20mg wird wohl passend sein.
Im laufe des Tages dann sehr starke Kopfschmerzen bekommen und die nächsten Dosen auf 15mg runtergesetzt. Allerdings kann mein Zustand auch mit der erneuten Entgiftung zu tun haben.
21-25.03.2010
Ab jetzt im Wochenrhythmus, da der Zustand mit 15mg sehr stabil und gleichbleibend positiv ist.
Habe bis heute (Freitag) die 15mg 3x am Tag genommen. An die Tagesabläufe gewöhnt und die Schlafenszeiten haben sich eingependelt, die innere Uhr „justiert“. Jeden Tag um 07:00 aufstehen, ins Bett dann um 00-02:00. Schlafdauer sehr erholsam, wache meistens automatisch kurz vor Weckerklingeln auf.
Da mir die 10er Tabletten langsam weniger werden, aber die 25er noch voll sind, habe ich mich entschieden auf 4x 12,5mg umzustellen. Vielleicht mit der Zeit auf 3x zu senken.
Diese Woche sehr viel Wichtiges und Anstrengendes erledigt, mit großem Einsatz und einem wachen Geist. Und zwar nicht auf den letzten Drücker, was die Arbeit erleichtert, da unnötiger Stress vermieden wird, der dann wiederum auf gewohnte Weise bekämpft werden müsste. Die wiedergekehrte Leistungsfähigkeit ist beeindruckend und ich ziehe daraus viele positive Gefühle.
Gestern (Donnerstag) war alles Nötige erledigt und es wäre in den letzten Jahren normalerweise der Tag, wo „Entspannung und Belohnung“ fällig ist. Ganz leichtes craving und das gewohnte Gefühl war da, aber es war mir leicht gefallen nicht zu trinken, vor allem im Hinblick auf letzte Woche, wo ich gerade aus dem Hochgefühl entschieden habe zu trinken. Ich scheine doch noch aus eigenen Fehlern zu lernen

Es reichte mir als Belohnung der Genuss meiner Leistungsfähigkeit und der Selbstbestätigung.
Solche Phasen des „Aufraffen“ hatte ich zwar auch in den letzten 5-6 Jahren, aber der Craving machte es mir immer wieder schon nach ein paar Tagen bewusst, dass mir die Selbstbestätigung nicht ausreichen „darf“. Erstaunlich, wie gesteuert ich mir jetzt aus den Jahren vorkomme.
Nebenwirkungen inzwischen unmerklich, bis auf die leichte Austrocknung der Haut, die aber auch mit dem Kaffeekonsum zusammenhängt. Kopfschmerzen bei 4x12,5mg keine. Libido inzwischen auch normalisiert. „Ich will so bleiben, wie ich bin“

Samstag, 26.03.2011 Sonderbericht:
Gestern Abend eine erschütternde Nachricht über die Diagnose eines Elternteils meiner Frau erhalten, wobei sich diese Endgültigkeit schon einige Zeit abgezeichnet hat. Jetzt ist es aber endgültig und das Zeitfenster steht auf 1-2 Monate. Der Abend wurde verbracht mit den Plänen zur Abschiedsreise. Da ich kein craving habe und auch sonst stabil, kann ich zum ersten mal seit sehr langer Zeit eine Stütze und keine Belastung in schwierigen Momenten sein. Eine Erfahrung für uns beide, die wir eigentlich seit ewig langer Zeit nicht gemacht haben.
Heute dann Einkauf bei Fegro mit meiner Frau. Die Alk-Abteilung dort ist besonders gut ausgestattet und war über 2 Jahrzehnte meine ganz spezielle Versorgungsquelle. All die Sondergrößen und besonderen Sorten haben meine Leber regelmäßig aufstöhnen lassen. Vor allem nach den vielen selbstverschriebenen Abstinenzphasen, die über die Jahre immer kürzer wurden, habe ich mir da meine ganz besondere Belohnung geholt. Mal Absinth, mal ein ganz besonders oft gefilterter Vodka.
Ich merke, wie meine Frau mich beim passieren dieser Regale beobachtet und versuche gleichgültig zu wirken. Dabei stelle ich vollkommen perplex fest, dass ich gar nicht versuchen muss, gleichgültig zu wirken, denn ich bin es tatsächlich. Ich gehe da vorbei und schaue die Flaschen an, als ob es Maisdosenim im 50er Karton, oder getrocknete Pfifferlinge im praktischen 5kg Paket wären. Dabei kommt mir die Erinnerung an den 3ten Absatz dieses Berichtes und ich muss schmunzeln, ob meiner Arroganz und Ungläubigkeit, die ich da vor Wochen an den Tag legte.
Beim bezahlen an der Kasse liegt bei den Einkäufen nur eine Flasche Wein, die meine Frau für eine Bekannte gekauft hat. Meine Frau strahlt dabei eine unausgesprochene Dankbarkeit aus, die zu sehen ich mir nie hätte träumen lassen...