Nach den aufwühlenden Ereignissen im Juni/Juli kamen dann doch paar ruhigere Tage und ich nahm mir vor, die Dosis runterzusetzen. Warum auch immer. Ich fand zwar meine optimale Dosis, bei der ich keine Nebenwirkungen habe und einen stabilen, ausgeglichenen Gemütszustand. Doch mal wieder habe ich mich etwas „inspirieren“ lassen durch die Berichte anderer vom Abdosieren und wollte auch für mich schauen, wo meine Schwelle liegt.
Nicht dass ich mal wieder falsch verstanden werde. Ich mache keinem einen geringsten Vorwurf (so kam es scheinbar nach meinem Vorfall im Mai rüber), dass er seinen Weg sucht und darüber berichtet. Auch wenn wir den Königsweg haben, so kann er nur als grober Richtungswegweiser und Einstieg in die eigene Genesung fungieren. Den individuellen Weg, auch wenn er bei manchen über ein lang andauerndes „Rumgehampel“ führt, muss jeder für sich finden. Das betrifft sowohl die Frage der dauerhaften Dosierung und Höhe, wie auch die Entscheidung zur Abstinenz, oder eben zu keiner. Ich gehe den einfachen Weg ohne viele Bedingungen und Regeln mir selbst aufzustellen, nur um ab und zu ein Stimulans zu genießen, welches ich einfach nicht mehr benötige.
Bin also, wie schon geschrieben, von 3x12,5mg und am Abend 25mg dann auf 4x12,5mg und nach paar Tagen auf 3x12,5mg runter. Nach einigen Tagen merkte ich aber einen gewissen „Mangel“ und gerade zum Abend kamen dann die Gedankenspiele rund um den Alkohol. Kein Craving als solches am Anfang, kein Verlangen, aber plötzlich war das Interesse an Alkohol da, welches über Monate kein Thema mehr gewesen ist.
Mit „Mangel“ meine ich aber kein „Verlangen“ nach baclofen, sondern einen Effekt als ob sich baclofen mit der Zeit und richtigen Dosis anreichert und mit der abnehmenden Dosis dieser Vorrat schwindet, denn mit jedem Tag der geringeren Dosierung steigerte sich auch das Interesse am Alkohol. Dazu kam, dass ich durch die umgestellten Einnahmezeiten auch mal eine Ration vergaß. So kam ich zwischendurch an einigen Tagen auf nur 2x12,5mg und das war für mich definitiv zu wenig.
Das ganze mündete dann in einem Vorfall, ausgelöst durch heftiges Verlangen nach einem Rausch. Auch die Umstände passten perfekt in mein früher gewohntes Muster. Ich gebe zu, ich habe den Rausch sehr genossen. Am nächsten Tag aber habe ich wieder auf zuerst 3x12,5mg und paar Tage später + 1x25mg am Abend aufdosiert. Durch die Verteilung über den Tag fühle ich mich wieder vollkommen ausgeglichen. Der Vorfall hatte keinerlei Schuldgefühle ausgelöst, sondern eher ein Lächeln hervorgerufen, da er mir zeigte, wie gut mein gefundener Weg mir tut und auch das meine Suche ein vorläufiges, glückliches Ende hat. Ich muss nicht mehr experimentieren.
Also zurück zum Erprobten und Bewehrten und zwar mit einer unglaublichen Sicherheit und Vertrauen, ohne jegliche Zweifel. Da ich diese stabile Zuverlässigkeit ohne Kampf mit mir selber erreicht habe und auch ohne sich Versprechen zu machen, habe ich nichts verloren und habe auch nichts zu bereuen. Im Gegenteil, ich habe gewonnen, da ich genau weiß, dass mit der richtigen Dosis baclofen ich meinen leichten Dauer-Flow genießen darf, ohne negative Folgen befürchten zu müssen.
Dank dieser Sicherheit und Stabilität löse ich die täglichen Problemchen mühelos und zeitnah, bevor Sie sich zu Problemen entwickeln. Ich bin fast dauerhaft gut gelaunt und das überträgt sich auf meine gesamte Umgebung. Dies wiederum führt zur Vermeidung von Konflikten, die das tägliche Leben so unnötig erschweren. Wie ich schon schrieb: „Rationalität in einer Pille“.
Ich habe einfach Lust, um 06:30 aufzustehen, um für meinen Sohn frische Brötchen zu backen; meine Frau morgens aufzumuntern, da das Wetter wieder so mies ist; Familie und Bekannten bei der Lösung ihrer Probleme zu helfen. Ich habe auch Freude dabei, der Kassiererin ein Kompliment zu machen und zu sehen, wie sie sich darüber freut. Oder einen Schnack mit meinem Nachbarn zu halten, einer Nachbarin beim einrichten der Fernsehkanäle zu helfen. Ich könnte hier lange aufzählen. Warum ich das erwähne? Weil gerade eine Marktmitarbeiterin betreffend sich etwas zugetragen hat, dass mich erstaunt hat (dazu aber etwas im nächsten Text). Und weil ich merke, dass dies alles gerne angenommen wird, da ich auf meine Umgebung eben ausgeglichen und zufrieden wirke.
Das ganze klingt eigentlich sehr selbstlos. Ist es aber keinesfalls, da all dies mir gute Gefühle vermittelt, meine Stimmung hebt und somit eine klare „Belohnung“ darstellt. Zu meinen Alkoholphasen, wo ich die Befriedigung meines „Belohnungssystems“ auf die angelernte „effektive“ und unmittelbare Weise angestrebt habe und jeder Eingriff von außen diese Unmittelbarkeit störte, hat mich eben diese Befriedigung immer mehr gekostet, sei es finanzieller Art, oder der Unmut meiner „Umgebung“ auf meine egoistische „Selbstbefriedigung“ ohne diese teilen zu wollen. Auch die unmittelbaren Folgen der kurzen Rauschphasen waren desaströs und haben den Kosten/Nutzen-Faktor immer ungünstiger erscheinen lassen.
Der erreichte Weg des täglichen kleinen Glücks ist aber tatsächlich mühelos und sehr effektiv, da auf eine kleine „Investition“ fast unmittelbar die Belohnung folgt, durch die Reaktion der Umgebung. Und diese Investitionen kumulieren sich mit der Zeit auch noch. So begrüßen die Nachbarn oder die Verkäuferin einen schon vom Weiten mit einem Lächeln und man merkt, dass sie bei all dem Arbeitsstress förmlich froh ist einen zu sehen. Diese Effekte der Interaktion mit der Umgebung lernt jedes kleine Kind beim Aufwachsen. Ich entdecke diese in ganz egoistischer Absicht bewusst neu. So zu sagen, ein Reset

Einen negativen Effekt hat das ganze aber. Da ich seit meiner Selbstmedikation mit meiner Sucht sehr offen und offensiv (zumindest im familiären und Bekanntenkreis) umgehe, nimmt man mir diese und die damit verbundenen Probleme der 2 Dekaden nicht ab. Es war immer und jedem klar, dass ich einen problematischen und ausschweifenden Umgang mit Alkohol habe, aber da ich nie aggressiv oder unangenehm war und meine Lebensumstände nach außen stabil schienen, waren die Ausmaße meiner Probleme nur ganz wenigen bewußt. Klar, nur meine Frau und mein Sohn haben mich ja täglich erlebt. Vor weiteren Treffen war ich immer 1-2 Tage nüchtern und trank zum Schluss mit anderen gar nicht mehr.
Vor allem aber mein aktuelles Verhalten erscheint den meisten paradox, da sie trockene Alkoholiker eben ganz anders kennen, egal ob aus den Medien oder eigener Umgebung. Wo diese vom harten Kampf mit der Sucht berichten und ständig auf der Hut sein müssen, von der Umgebung behütet und von Problemen möglichst ferngehalten, sowie von jedem Kontakt mit Alkohol, da gehe ich völlig ungezwungen ran und meide weder Probleme, noch eine „alkoholische“ Umgebung. Ich werde ganz besonders von denjenigen ungläubig beäugt, die selbst bereits die Einsicht gewonnen haben, einen zumindest problematischen Umgang mit Alkohol zu haben, oder sogar schon selbst Versuche unternommen haben, diesen abzustellen.
Nun zu einer kleinen Auswahl weiterer positiver Effekte seit Anfang meiner Selbstmedikation:
- Ich habe seit März ´11 insgesamt 10 Kilo abgenommen, ohne geringste Mühe. Das sind 2 Kleidergrößen. Der verhasste abstehende Bauch ist weg. Hemden muss ich nicht mehr außen tragen

- Die Umstellung des Tagesablaufes und Wegfall des abendlichen und nächtlichen Saufens haben meinen Appetit reguliert. Ich esse ab ca. 17-18 Uhr gar nichts mehr, morgens frühstücke ich ganz normal, Mittag 13-15 Uhr und es passt perfekt. Dieser Punkt ist mir sehr wichtig, da er täglich zur Selbstbestätigung beiträgt und einen wesentlichen Teil der Befriedigung darstellt. Die positiven Reaktionen der Umgebung verstärken dies noch deutlich.
- Der geregelte Tagesablauf mit regelmäßigen Schlafenszeiten lässt mich ausgeruht die Tage verbringen und verhindert das Entstehen unnötiger Stressfaktoren. Morgens wache ich ausgeruht auf und sehe nicht mehr wie überfahren aus, wie in den letzten Jahren.
Ich war seit März nicht einen Tag krank, die folgen der Vorfälle mal ausgenommen. Sogar mein Heuschnupfen hat sich dieses Jahr irgendwie komplett verzogen. Keine Halsschmerzen, keine Hautreizungen, keine Darmprobleme. Keine geröteten und trockenen Augen. Überhaupt geht es mir körperlich bestens.
- Kein übermäßiges Schwitzen! Das war eine der lästigsten Folgen der Alkoholsucht überhaupt. Das verschwundene Übergewicht (noch 3-4 Kilo

) und das ausgeglichene Kreislaufsystem haben das übermäßige Schwitzen verschwinden lassen. Ich stand mal über längeren Zeitraum in der prallen Sonne im Jacket und es hat mir nichts ausgemacht. Meine Gesichtshaut wirkt nicht mehr ständig glänzend, gerötet und käsig. Der Blick auf Fotos der letzten Jahre, die ich übrigens nach besten Kräften mied, lässt mich erschaudern...
Nun ja, ist nicht wenig zusammengekommen und mag sich sicherlich recht trocken analysiert lesen, aber ich hoffe meine Erkenntnisse und Erfahrungen sind nachvollziehbar

Ich jedenfalls bin von der Wirkung von baclofen vollends überzeugt. Dieses Medikament hat mir in den 6 Monaten ermöglicht meine Zeit in meine Genesung und Selbsterkenntnisse zu investieren, mich mit meiner Sucht zu beschäftigen und trotzdem dabei mein suchtfreies Leben zu genießen, ohne gegen diese verzweifelt anzukämpfen. Würde sich unwahrscheinlicherweise irgendwann herausstellen, dass baclofen nur einen Placeboeffekt hat, so wäre das für mich keine Katastrophe, da ich dann auf die Selbstheilungskräfte meiner Psyche und Körpers stolz wäre

Euch allen weiterhin nur das Beste auf Eurem Weg
