Dienstag 11. April 2017, 11:12
Hallo Ihr Lieben!
seid längerer Zeit schreibe ich ehrenamlich für eine Suchtzeitung die "TrokkenPresse" Artikel. Diese Zeitung hatte mich gebeten, über meine Erfahrungen mit BAclofen zu berichten. Dem habe ich zugestimmt. Mein erster Teil darüber erschien im Januar und der 2. Teil erscheint jetzt im April.
Da ich nicht all zu viel über mich geschrieben habe bis jetzt, füge ich diese zwei Artikel mal zum Lesen für Euch bei.
LG Kornblume
Ein Erfahrungsbericht:
Mein Weg mit Baclofen (Teil 1)
Das Verlangen eines Süchtigen nach seinem Suchtmittel ist wie der Hunger eines Verhungernden, schreibt der suchtkranke französische Arzt Olivier Ameisen. Dieselben Hormone werden freigesetzt, dieselben Gehirnregionen aktiviert. Das Gehirn stuft Alkohol als lebensnotwendig ein. „Der Gedanke an das Suchtmittel kann sich in den ruhigsten Momenten in das Bewusstsein des Süchtigen einschleichen und schnell das ganze Denken ausfüllen“, so Ameisen. Vernunft, Scham und Selbsthass konnten ihn nicht aufhalten. Als würde ein anderer seinen Körper kontrollieren, zog er los und kaufte Schnaps.
Olivier Ameisen hat es auf den Punkt gebracht. Obwohl ich vielleicht an diesen oder jenen Tagen überhaupt nicht trinken wollte, zog ich los und kaufte mir dennoch etwas.
In meiner Jugend spielte Alkohol überhaupt keine Rolle für mich. Alkohol schmeckte mir einfach nicht. Auch in meiner Familie wurde, wenn überhaupt, nur bei Feierlichkeiten Alkohol getrunken. Meine erste Bekanntschaft mit Alkohol machte ich, als ich einen neuen Job bei einer Kommunalversicherung antrat. Zu diesem Zeitpunkt war ich bereits 30 Jahre alt. In besagter Firma gab es immer irgendeinen Anlass zum Feiern, seien es Geburtstage, Jubiläen oder Hoffeste. Und, da ich auf keinen Fall als Außenseiter dastehen wollte, probierte ich bei einer solchen Feierlichkeit auch mal ein alkoholisches Getränk. Von Natur aus bin ich ein eher zurückhaltender Mensch, was sich aber nach ein paar Gläsern Sekt oder Wein änderte. Mein Selbstbewusstsein stieg, ich wurde gesprächiger und war einfach gut drauf. Dies war eine Erfahrung, die mir gefiel. Auch fiel es mir mit der Zeit auf, dass meine Ängste, damals litt ich unter Platzängsten (Agoraphobie), verschwanden, sobald ich ein paar Gläser Alkohol trank. In dieser Firma schloss ich Freundschaft mit einer Kollegin, mit der ich dann öfters durch Bars und Clubs zog. Zu diesem Zeitpunkt wurde Alkohol mein ständiger Begleiter. Anfangs trank ich nur alle paar Wochenenden, später dann jedes Wochenende. Ich wurde eine sogenannte Quartalstrinkerin. Doch mit der Zeit wurden die Quartale immer kürzer und im Jahre 2008 fand ich mich zum ersten Mal auf einer Entgiftungsstation im Berliner St. Joseph-Krankenhaus wieder. Danach folgten viele weitere Entgiftungen in immer kürzeren Abständen. Im Jahre 2010 ging ich auf Anraten meiner Suchttherapeutin zur Entwöhnungstherapie ins St.-Joseph-Krankenhaus. Doch leider führte diese nicht zum gewünschten Erfolg und ich wurde wieder rückfällig. Mit dem Trinken wurde es immer schlimmer und im Jahre 2011 folgte eine weitere Langzeittherapie im St.-Joseph-Krankenhaus. Jedoch war meine Trockenheit nach dieser zweiten Langzeittherapie auch nicht von Dauer. Ich besuchte zwar einige Gruppen und ging auch zu den Anonymen Alkoholikern (eine Zeit lang sogar täglich), doch mein mitunter extremer Suchtdruck bescherte mir immer nur kurze Trockenphasen. Es brauchte auch schon lange keine Auslöser mehr, wie Stress, Ängste, Traurigkeit o. ä., um bei mir Suchtdruck auszulösen. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Alkohol seine positive Wirkung, die er früher noch hatte, längst verloren. Nur noch die Euphorie vor dem Trinken war geblieben. Es war ein ständiger Kampf um die Abstinenz und irgendwie kein angenehmes Leben mehr.
Bei einem meiner regelmäßigen Arztbesuche meiner Psychiaterin schlug mir diese vor, es doch mal mit Campral zu versuchen. Campral soll das Verlangen nach Alkohol lindern. Erfreulicherweise funktionierte dies auch erst mal. Doch leider ließ die Wirkung dieser Tabletten mit der Zeit wieder nach und ich stürzte wieder ab. Im Jahre 2015 dann ein neuer Versuch mit dem Medikament Naltrexon. Dies ist auch ein Mittel, welches Rückfälle und das Verlangen nach dem Stoff mindern soll. Aber Naltrexon vertrug ich überhaupt nicht und musste es wieder absetzen. Doch wie sollte es nun weitergehen? Mir ging es sehr schlecht und das ständige Craving zwang mich zum Trinken. Mein Alkoholkonsum hatte sich mittlerweile auf zwei Liter Wein an bis zu vier bis fünf Tagen der Woche gesteigert. Meine Blutwerte waren auch nicht so berauschend.
Doch dann schöpfte ich neue Hoffnung. Meine langjährige Suchttherapeutin empfahl mir, mich doch mal an die Suchtambulanz der Charité zu wenden. Forscher der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité hatten dort vor einiger Zeit das Medikament Baclofen an Probanden in einer Studienreihe getestet. Vielleicht hatte ich Glück und es lief gerade wieder eine Studie. Baclofen war mir aus den Medien ein Begriff. Der französische Kardiologe Olivier Ameisen, selbst schwer alkoholabhängig, hatte Baclofen im Selbstversuch vor einigen Jahren erfolgreich getestet. Er schrieb darüber das Buch „Das Ende meiner Sucht“. In Frankreich ist dieses Medikament seit März vergangenen Jahres für die Suchttherapie zugelassen. In Deutschland leider noch nicht. Also vereinbarte ich einen Termin bei der Suchtambulanz der Charité. Mitte August 2016 fuhr ich dann voller Hoffnung in die Charité. Ein sympathischer, gut gelaunter Arzt empfing mich in seinem Sprechzimmer. Zuerst machte er sich ein Bild von meinem Suchtverlauf. Auch waren noch ein EKG und ein Blutbild vor der Behandlung mit Baclofen nötig. Die Frage nach einer aktuellen Studienreihe musste er leider verneinen, da die Studien erst mal abgeschlossen seien. Jedoch sehe er kein Problem darin, mir Baclofen Off-Label* zu verschreiben, da ich ja mittlerweile so einiges versucht hatte, um trocken zu werden. Ich war positiv überrascht, denn ich hatte nicht erwartet, dass es doch relativ unkompliziert war, dieses Medikament zu bekommen.
Er erklärte mir sehr ausführlich die Wirkungsweise des Medikaments. Weiterhin machte er mir klar, dass die wirksame Dosis, bei der sich eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber dem Alkohol einstellt, bei jedem Menschen unterschiedlich ist. Sie kann zwischen 50 mg und 270 mg pro Tag liegen. Es erfordert schon ein wenig Geduld, bis man seine Dosis gefunden hat. Baclofen wird sehr langsam aufdosiert, um unerwünschte Nebenwirkungen weitestgehend auszuschließen, die sich in Schwindel, Müdigkeit, Übelkeit oder Abgeschlagenheit äußern können. Auch riet mir der Arzt, genau in mich hineinzuhorchen, wie hoch ist mein Craving, sind die Nebenwirkungen noch erträglich usw. Man wird sozusagen auf das Medikament eingestellt, ähnlich wie bei einem Blutdruckmittel. Werden die Nebenwirkungen zu stark, wird Baclofen wieder etwas runterdosiert. Man verweilt dann ein paar Tage auf dieser Dosis und geht danach wieder auf die Dosis zurück, welche die Nebenwirkungen ausgelöst hat.
Auch betonte er, dass Baclofen keine Wunderpille sei, die man einwirft und alles ist gut. Es heißt, auch weiterhin an sich zu arbeiten und Selbsthilfegruppen nicht zu vernachlässigen. Baclofen dämpft den Suchtdruck und im Idealfall erreicht man eine völlige Gleichgültigkeit gegenüber dem Alkohol. Der Alkohol ist dann nur noch ein Gedanke wie jeder andere auch. Das hörte sich doch alles sehr vielversprechend an. Endlich nicht mehr jeden Tag dieser Kampf, trocken zu bleiben, und dieser Wahnsinn im Kopf hätte vielleicht bald ein Ende! Die Nebenwirkungen von Baclofen erschienen mir im Gegensatz zum Alkohol doch relativ harmlos und meine unzähligen Versuche, trocken zu werden, scheiterten immer wieder am extremen Suchtdruck. Ich hatte nichts zu verlieren, also warum sollte ich es nicht versuchen?
Es war der 4. September 2016, der Beginn meiner Baclofen-Therapie. Wie mit dem Arzt abgesprochen, begann ich mit 15 mg dreimal über den Tag verteilt. Meine Stimmung war sehr gut, ja sogar etwas euphorisch. Noch verspürte ich keinerlei Nebenwirkungen. Nach ein paar Tagen erhöhte ich die Dosis auf 30 mg pro Tag. Am späten Abend warf mich dann eine plötzlich auftretende extreme Müdigkeit fast um. Diese sollte mich leider auch noch eine ganze Weile begleiten. Mein Suchtdruck lag auf einer Skala von 1-5 so etwa bei 3,5 bis 4. Mein Resümee nach 15 Tagen – ich war in dieser Zeit dreimal rückfällig, aber hatte nicht mehr jeden Tag Suchtdruck, was immerhin schon ein kleiner Fortschritt war. Am 16. Tag wurde meine Dosis auf 45 mg gesteigert. Stimmungsmäßig war ich gut drauf, jedoch stellten sich Kopfschmerzen und ein leichtes Schwindelgefühl ein. Zwischendurch hatte ich regelmäßig Gesprächstermine bei meinem Arzt in der Charité.
Mittlerweile sind seit der Behandlung mit Baclofen drei Monate vergangen. Derzeit bin ich bei einer Dosis von 100 mg pro Tag. Ich habe in der Zeit Höhen und Tiefen erlebt. Die Anfangseuphorie hat sich mittlerweile gelegt. Es beunruhigt mich ein wenig, dass ich in letzter Zeit so antriebslos und vergesslich bin. Auch diese Müdigkeit lässt mich nicht mehr los. Das extreme Craving, unter dem ich vor der Behandlung mit Baclofen gelitten hatte, ist zum Glück nicht mehr da. Dies ist eine große Erleichterung! Es ist so schön, nicht mehr tagtäglich an Alkohol denken zu müssen, und dank Baclofen war ich zwischendurch sogar 24 Tage am Stück trocken. Natürlich beschleichen mich öfters auch Zweifel. Was ist, wenn dieses neue Medikament bei mir wieder nicht anschlägt!? Auch die Aussage einer Gruppenfreundin: „Ich will es ohne irgendwelche Pillen schaffen!“ verunsicherte mich ein wenig. Denn, wenn ich mich so in meiner Gruppe umschaue, bin ich die einzige die Tabletten einnimmt, um trocken zu werden. Der Begriff „kontrollierte Abstinenz“ schoss mir durch den Kopf! Kontrolliert durch Tabletten, wollte ich das? Aber andererseits, was ist so verwerflich daran, eine „Krücke“ auf dem Weg zur Abstinenz zu benutzen? Hatte ich nicht schon alles versucht!? Doch dann erfüllte mich mein Denken wieder mit Hoffnung und Zuversicht, besonders, wenn ich an die Weihnachtsfeier im Dezember zurückdenke … An den Tischen wurde reichlich Bier getrunken, denn wir feierten in einem Brauhaus! Ich saß mitten unter meinen Bier trinkenden Kollegen und hatte überhaupt kein Verlangen nach Alkohol! Welch ein Erfolg!
Meine Dosis habe ich noch nicht ganz gefunden, jedoch bin ich sehr zuversichtlich, mit Hilfe von Baclofen dauerhaft trocken zu werden.
Wie es mir weiterhin ergangen ist, werde ich in einer nächsten Ausgabe berichten, denn mein Weg ist noch nicht zu Ende.
Manuela K.