Samstag 2. September 2017, 10:28
Liebe Akito,
Die Gier wird uns ein Leben lang begleiten.
Das klingt so wenig hoffnungsvoll! Vielen Menschen gelingt es gerade mit Baclofen diese Gier zu besiegen. Vielleicht niemals ganz endgültig (ein Rückfall/Vorfall ist nie ganz ausgeschlossen) - aber wie Olivier Ameisen sagte: Abstinenz ohne Baclofen ist eine Tortour!
Mit Baclofen sollte es über die Zeit gelingen "zufrieden abstinent" zu werden - oder einen "sozial- und gesundheitsverträglichen Alkoholkonsum" hinzubekommen. Das letzte Ziel ist bei Menschen nach vielen gescheiterten klassischen Versuchen das Problem loszuwerden gar nicht mehr präsent, hier ist die Abstinenz richtigerweise das Ziel.
Nicht umsonst zitieren wir hier immer GGG, GEDULD! Bedeutet immer auch: mit sich selbst. Grundgedanke muss eine Entschlossenheit zur Veränderung der Trinkgewohnheiten sein. Ohne die geht es einfach nicht. Manchmal frage ich Menschen, ob sie wirklich aufhören wollen zu trinken - oft schauen die ganz verblüfft und kommen zur Aussage, dass sie sich ein Leben ohne Alkohol einfach nicht vorstellen können. Das Glas Weisswein zum Fisch, beim Bügeln...die gedankliche Verabschiedung oder Du könntest auch sagen: die Kampfansage an den Alkohol ist noch gar nicht erfolgt. Es wird manchmal sogar erwartet, dass Baclofen die Veränderung im Kopf bewirkt - in Teilen ist das schon so - aber oberste Priorität hat der Wille zur Veränderung!
In Frankreich ist es völlig üblich mit bestehendem Alkoholkonsum die Baclofentherapie zu beginnen, was dort oft klappt scheint hier im Forum eher schwierig. Fakt ist, dass ein abstinenter Beginn dem Baclofen eine deutlich bessere Chance zur Wirksamkeit gibt und Alkoholkonsum MIT Baclofen unplanbare unerwünschte Wirkungen bedingen kann. Ist die Alkoholmenge sehr gross sollte Mensch überlegen eine kurze Entgiftung zu machen und dann zu starten. Das ist auch eine gute Möglichkeit bei der Kombination Alkohol plus Baclofen, die aus dem Ruder gelaufen ist. Problem: viele Entgiftungen akzeptieren Baclofen nicht, setzt Du Baclofen plus Alkohol ab wird er Entzug problematisch.
Dass wir hier eine abstinente Zeit für mindestens 6-12 Monate vorschlagen soll Dir zeigen, dass ein Leben ohne Alkohol überhaupt möglich ist, ob Du dann einen "Test" machst bleibt Dir überlassen (s.o.). Dr. Vera Schnell empfiehlt eine Mindestdauer der Einnahme über 3 Jahre; die durch Alkohol entstandenen neurobiologischen Veränderungen brauchen Zeit um sich wieder zu "erholen".
Du hast einen wunderbaren Start gemacht und schon festgestellt, dass Baclofen bei Dir wirksam ist, bist über Veränderungen im Zustand der Nüchternheit verunsichert, das ist verständlich. Wenn ich Deinen "Thread" anschaue hast Du viele positive Antworten, Ermutigungen erhalten. Gerade der "nüchterne" Rückblick auf die "Alkoholkarriere", die scheinbar verlorene Lebenszeit verstärkt negative Gefühle. Das ist völlig normal - eventuell brauchst Du eine vorübergehende psychotherapeutische Stütze auch in "Deinem Alter" - vielleicht nur um gewisse Dinge zu verstehen, vor allem aber um Dir Deine Resourcen aufzuzeigen, wie es positiv ohne Alkohol weitergehen kann.
Wenn Du Angst hast, was Baclofen wirklich in Deinem Hirn macht lies das Buch von Ameisen noch einmal. Die Freisetzung unserers wichtigsten "hemmenden" Botenstoffs - der Gamma-amino-buttersäure bewirkt auf vielen Ebenen der Hirnchemie Veränderung - verhindert Dopaminfreisetzung im "mesolimbischen System" (Sucht), aber Baclofen ist aber auch zB im Mandelkern (Amygdala) wirksam, dem Ort der für Emotionsverarbeitung zuständig ist - Angst/Wut.....bekannt ist die ganz überwiegend positive Wirkung auf Depression.
Dein Mann hat zumindest in Teilen verstanden, dass Du Dinge verändern musst, wie schön! Du hast einen Arzt der Dir hilft und sich auskennt. Und das Forum gibt es ja auch noch.
Gib nicht auf! Alles Liebe
jivaro