Nicht mehr trinken. Sondern weniger.
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Re: Erfahrungsberichte zu Nalmefene sammeln.

Montag 8. Dezember 2014, 00:18

Zum Thema Selincro habe ich im Nachbarforum eine bemerkenswerte Fleißarbeit von DonQ entdeckt, die ich euch nicht voranthalten möchte.

B.t.w. habe ich diese Enticklung bereits im Januar genau so vorhergesehen - das trägt sehr viel zum Erhalt meiner "narzisstischen Hömostase" bei
Danke für diese Fundsachen. Du stichst da in ein wahres Hornissennest! Und mir verschaffst Du wieder einmal „Überstunden“. Die schiebe ich aber gerne, denn das Thema ist brisant. Es geht um die sog. Nutzenbewertung von Nalmefen (Selincro). Schien da nicht alles in trockenen Tüchern zu sein? Selincro zugelassen, d.h. verschreibungsfähig und darüber hinaus von den Krankenkassen zu erstatten? Doch erst mal alles der Reihe nach:

Am 25. Februar 2013 hat das Medikament von der Europäischen Kommission die Zulassung, und damit auch für Deutschland erhalten. Hier nochmal die Eckdaten:

Zulassung hat geschrieben:
Selincro wird angewendet, um Erwachsenen mit Alkoholabhängigkeit, die mehr als 60 g Alkohol pro Tag (bei Männern) oder mehr als 40 g Alkohol pro Tag (bei Frauen) konsumieren, zu helfen, ihren Alkoholkonsum zu verringern.

Es sollte nur in Verbindung mit psychosozialer Unterstützung (Beratung) und nur bei Personen angewendet werden, die keine körperlichen Entzugserscheinungen zeigen und für die keine unverzügliche Entgiftung erforderlich ist.

Zur Orientierung: Eine Flasche Wein (750 ml; 12 % Vol. Alkohol) enthält etwa 70 g Alkohol und eine Flasche Bier (330 ml; 5 % Vol. Alkohol) etwa 13 g Alkohol.

Selincro ist nur auf ärztliche Verschreibung erhältlich.

Primärquelle …

Der Haken dabei ist, dass es damit in Deutschland nicht erstattungsfähig ist. Deshalb wurde am 20. Februar 2014 in der Anlage III zur Arzneimittelrichtlinie die Nummer 2 entsprechend geändert:

Geänderte Nummer 2 hat geschrieben:
[2. Mittel zur Behandlung der Alkoholabhängigkeit

[Alkoholentwöhnungsmittel sind von der Versorgung ausgeschlossen]

a) ausgenommen zur Unterstützung der Aufrechterhaltung der Abstinenz bei alkoholkranken Patienten im Rahmen eines therapeutischen Gesamtkonzepts mit begleitenden psychosozialen und soziotherapeutischen Maßnahmen.

b) ausgenommen zur Unterstützung der Reduktion des Alkoholkonsums bei alkoholkranken Patienten, die auf eine Abstinenztherapie hingeführt werden, für die aber entsprechende Therapiemöglichkeiten nicht zeitnah zur Verfügung stehen. Die Verordnung kann bis zu drei Monate erfolgen; in begründeten Ausnahmefällen kann die Verordnung um längstens weitere drei Monate verlängert werden. Die Einleitung darf nur durch in der Therapie der Alkoholabhängigkeit erfahrene Ärztinnen und Ärzte erfolgen.

Der Einsatz von Arzneimitteln zur Behandlung der Alkoholabhängigkeit ist im Hinblick auf das therapeutische Gesamtkonzept besonders zu dokumentieren.

Primärquelle …

Darüber, die Abstinenz als zu bevorzugendes Therapieziel zu benennen, gab es eine lebhafte Debatte. Einige Fachvereinigungen sahen sehr wohl auch eine Trinkmengenreduktion als erstrebenswert an. Es lohnt sich, unbedingt, sich, in diesem Papier unter Punkt 4.1.„Einwände zum Vorrang des Therapiezieles Abstinenz“, die Argumente mal anzusehen. Zunächst Lunbeck auf den Seiten 53 bis 54 und danach andere auf den Seiten 54 bis 58.

Entschieden wurde dann aber anders:

Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat geschrieben:
Vor diesem Hintergrund hält es der G-BA für vertretbar, die Abstinenztherapie als die im Vergleich zur Trinkmengenreduktion zweckmäßigere Behandlungsform zur Behandlung der Alkoholabhängigkeit einzuordnen und dementsprechend die Verordnung von Arzneimitteln zur Trinkmengenreduktion an die im Beschlussentwurf festgelegten einschränkenden Bedingungen zu knüpfen.

Primärquelle … (Seite 7 ganz unten)

Meines Erachtens wurde da leider eine große Chance vertan, und Lundbeck lief denen wie mir scheint ins offene Messer. Auch andere, äußerst erwägenswerte Einwände von Lunbeck (ab Seie 66) wurden abgelehnt. Allerdings, wie mir als Laie scheint, schon sehr formal-juristisch. Aber nun gut, ich verstehe davon nichts, und juristische Beurteilungen sind eben auch oft notwendig und unter Anderem ist das deren Job.

Jetzt erst kommen wir zu der eingangs erwähnten und von Gretikatz aufgestöberten „Nutzenbewertung“. Wenn ich das richtig sehe, dann wird Selincro erst durch die Neufassung von Nummer 2, Buchstabe b), in Anlage III zur Arzneimittel-Richtlinie (siehe oben, Kostenübernahme 3 bis max. 6 Monate) nun auch der Pflicht unterstellt, eine solche Nutzenbewertung vorzunehmen und einzureichen. Das hat Sie mit vier Einzelmodulen und einer Zusatzunterlage getan, alle datiert mit 28. August 2014. Der G-BA bestätigt den Eingang am 1. September, beauftragte mit der Prüfung der eingereichten Unterlagen noch gleichentags das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), deren Bericht am 1. Dezember vorlag. Der G-BA hat für dieses Anwendungsgebiet folgende zweckmäßige Vergleichstherapie festgelegt:

Naltrexon zur Unterstützung der Reduktion des Alkoholismus nach den Maßgaben der Verordnungseinschränkung in Anlage III Nummer 2 der Arzneimittel-Richtlinie mit psychosozialer Unterstützung entsprechend der Zulassung

Quasi mit der Pistole auf der Brust, oder weil sie auch nichts Besseres wusste, hat die Firma Lundbeck das dann akzeptiert. Der Haken an der Sache ist halt der, dass es noch gar keine vergleichenden Untersuchungen Selincro < - > Naltrexon gibt. Also hat sich Lundbeck mit einem „adjustierten indirekten Vergleich mit Placebo als Brückenkomparator“ beholfen. Das hört sich kompliziert an und ist es bestimmt auch. Lundbeck machte sich also ans Werk und reichte das Dossier ein. Das Verdikt der IQWiG ist für Lundbeck niederschmetternd. Hier ein Auszug, Hervorhebung in Fettschrift von mir:

IQWiG auf Seite vier hat geschrieben:
Zusammenfassung

Es liegen keine direkt vergleichenden RCTs von Nalmefen gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie vor.

Der vom pU (Anm. DonQ; Lundbeck) vorgelegte adjustierte indirekte Vergleich ist nicht verwertbar, da insbesondere die Studien auf der Naltrexon-Seite nicht zur Beantwortung der Fragestellung geeignet sind. In 6 von 7 Naltrexon-Studien sind die eingeschlossenen Patienten bereits abstinent und entsprechen somit nicht der Fragestellung. In der verbleibenden Studie wurde Naltrexon nicht zulassungskonform eingesetzt, bzw. es liegen keine relevanten Auswertungen vor. Insgesamt liegen damit keine geeigneten Daten für die Bewertung des Zusatznutzens von Nalmefen vor.


Für Lundbeck ist das eine schallende Ohrfeige, jedenfalls hört sich das für mich so an. Doch auch hier beschleicht mich irgendwie das Gefühl, dass man Lundbeck hat ins offene Messer rennen lassen. Gut, dass der Leistungsausweis von Selincro im Grunde sehr bescheiden ist, hatten wir anderenorts bereits erörtert. Von daher vielleicht die Strenge des G-BA und des IQWiG, denn immerhin sollen die beiden ja unter Anderem der Kostenexplosion im Gesundheitswesen
entgegenwirken [pardon].

Die USA mögen das Land der Tapferen sein („Land of the braves“), dann ist aber Deutschland wenigstens das Land der Gründlichen. Bis zum 22. Dezember haben alle interessierten Kreise Gelegenheit zu einer Stellungnahme, das heißt: „Sachverständige der medizinischen und pharmazeutischen Wissenschaft und Praxis sowie der für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildeten maßgeblichen Spitzenorganisationen der pharmazeutischen Unternehmer, der betroffenen pharmazeutischen Unternehmer [Anm. DonQ: also Lundbeck], der Berufsvertretungen der Apotheker und der maßgeblichen Dachverbände der Ärztegesellschaften und der besonderen Therapierichtungen auf Bundesebene.“ Primärquelle …

Am kommenden 12. Januar finden dann noch mündliche Anhörungen statt und „Mitte Februar“ will der G-BA dann entscheiden (Primärquelle). Für Lundbeck könnte es also nochmal eng werden, auf dem Spiel steht jedenfalls die Erstattungsfähigkeit durch die Krankenkassen für die drei bis in begründeten Ausnahmefällen maximal sechs Monate.

DonQuixote


LG

Praxx
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