Freitag 2. April 2010, 11:28
@Invorio,
wie wahr, ich kann da auch ein Lied davon singen. Aber es verblasst und die negativen Erinnerungen werden weniger. Die in dem nachfolgenden Artikel beschriebene Technik klingt zwar einigermaßen banal, wirkungsvoll kann sie trotzdem oder gerade deswegen sein. Tipp: bitte 3 x langsam lesen.
LG Federico
Laßt die Erinnerung uns nicht belasten, Mit dem Verdrusse, der vorüber ist.
William Shakespeare, Der Sturm
Neulich habe ich alte Tagebücher aus meiner Teenagerzeit gelesen. Und war überrascht: Damals war es ein wenig anders, als ich es in Erinnerung hatte. Farbiger. Blöder. Vergnügter. Wie leicht ist es doch, sich zu täuschen. Zum einen wurde mir klar, dass Teenager hauptsächlich damit beschäftigt sind, ihre eigene Befindlichkeit auszuloten, und wie gnadenvoll das ist, wenn das endlich aufhört. Glück ist auch: erwachsen werden.
Zum anderen zeigte sich, dass unsere Vergangenheit am Ende auch nur eine Geschichte ist, die wir uns erzählen. Die Kunst besteht darin, sie in eine gute Geschichte zu verwandeln. Oder in ein, in der sich das ganze verdammte Leiden wenigstens gelohnt hat.
Der amerikanische Psychologe Philip Zimbardo hat mit seinem Kollegen John Boyd ein Buch zur neuen Psychologie der Zeit* geschrieben. Darin untersuchen sie die Auswirkungen unbewusst eingenommener Zeitperspektiven, und stellen fest, dass sowohl Individuuen als auch ganze Nationen temporale Präferenzen besitzen. Man blickt entweder hauptsächlich von der Vergangenheit, der Gegenwart oder der Zukunft aus aufs Leben. Jede Perspektive gibt es mit einer eher positiven oder einer eher negative Ausrichtung. Und einige Zeitperspektiven sind glücksfördernd, während andere für permanente Unzufriedenheit sorgen.
Zunächst geht es um die Vergangenheit. Obwohl sie hinter uns liegt, hat sie große Macht über die Gegenwart. Eine negative Sicht auf die Vergangenheit gehört zu den allerschädlichsten Zeitperspektiven. Wenn wir unsere Geschichte nicht annehmen können, wenn wir nur Schmerz und Düsterkeit sehen, dann ist die nächste Depression auch nicht weit. Ohne eine positive Perspektive auf unsere Vergangenheit haben wir keine Wurzeln. Dazu kommt, dass unbewusst meist von Kontinuitäten ausgehen. In diesem Fall kann das bedeuten: Früher übel, jetzt furchtbar, und in Zukunft: noch viel schlimmer. Negativspirale. Ganz schlecht.
Die Vergangenheit ist, was sie ist. Aber es liegt in unerer Hand, sie zu interpretieren. Unser Verstand ist so gebaut, dass er auf jede Frage eine Antwort findet. Wir müssen sie nur stellen:
Was habe ich daraus gelernt? Welche Geschichte kann ich mir erzählen, um eine Niederlage in eine Erfahrung zu verwandeln? Was war das Positive an allem?
Optimisten sind Idioten. Glückliche Idioten. Sie erinnern sich an das, was sie stärkt, und lassen den ganzen anderen Mist elegant unter den Tisch fallen.
Aber wie können wir unsere Perspektive auf unser eigenes Lebern ändern? Wie die Vergangenheit zu einem Verbündeten machen?
Zunächst ist es hilfreich, sich den ganzen traumatischen Mist anzuschauen und solange hin und her zu wenden, bis wenigsten ein Quäntchen solide Lebenserfahrung rausgeholt wurde. Dann vergessen. Nur die Erfahrung behalten. Denn was auch immer passiert ist: Wenn es mich zu dem Menschen gemacht hat, der jetzt durch meine Augen blickt, war es gut. Selbstannahme in der Gegenwart führt automatisch zu einem zärtlicheren Blick auf die eigene Geschichte – sind wir doch ihretwillen, der oder die, die wir sind.
Am wichtigsten ist es, ein Gefühl der Dankbarkeit zu kultivieren. Dazu schlagen die Autoren vor, zwei Wochen lang jeden Morgen aufzuschreiben, wofür wir dankbar sind. Hab’ ich gemacht. Erstaunlich viel gefunden, und darin Muster entdeckt. Beispielsweise steht die Freude, die ich an frischen Blumen habe, in keinem Verhältnis zu dem geringen finanziellen Aufwand der Beschaffung. Und ich merke, wie viel mir gewisse Menschen bedeuten. Und Bücher und Essen und grüner Tee. Jedes Mal nach dem Verfassen dieser Liste das stille Gefühl: Ich mag mein Leben. Und es gibt soviel, wofür ich dankbar bin.
Das ist eine wirklich gute Übung – sie hilft uns, unseren Blick zu erziehen. Glück ist die Kunst der selektiven Wahrnehmung. Und ein positiver Blick auf die eigene Vergangenheit die beste Vorbereitung für eine zufriedene Zukunft. (wird fortgesetzt)
* Philip Zimbardo /John Boyd, Die neue Psychologie der Zeit, Spektrum Verlag, Hedelberg 2009