Mittwoch 3. Juli 2013, 06:12
Hallo bennter, jivaro
Heute morgen schon wieder früh wach, zum Glück aber keine Alkoholträume oder -gedanken.
Bennter, du bist nicht so weit abgerutscht als ich, dennoch bist du schon weiter in der Therapie. Du bist nervös wegen deinem kommenden Sportweekend. Du machst dir Gedanken. Finde ich gut, es sind kleine Schritte in die gute Richtung.
Ich habe aufgehört mit der Planerei. Es artet immer aus, egal was ich plane. Nur wenn meine Frau während der ganzen Zeit bei mir ist und ich keine Möglichkeit habe, heimlich zu trinken (Tankstelle, Keller, egal was), kann ich forciert moderat trinken. Und habe ich keine grösseren Schwierigkeiten, mich zu beherrschen. Richtiges Craving habe ich dann nicht. höchstens bin ich ein genervtes Kind, dessen Spielzeug weggenommen wird. Aber wenn meine Frau (bis jetzt meine einzige Kontrolle) nicht dabei ist, ist der point of no return sehr schnell erreicht. Bis vor kurzem wäre ein Sportweekend für mich: Brav anfangen und schön planen, aber ganz sicher ausartend in eine Alkohol-Orgie, Craving, Kater, alles ist dabei.
Lieber bennter, wie wär's vielleicht mit folgender Übung: Planen ok, aber in umgekehrter Richtung: Wie kannst du diese 3 Tage proaktiv planen, ohne überhaupt auf Alkohol-Ideen zu kommen, wie konditionierst du dich, schon ein paar Tagen, Wochen oder sogar Monate im Voraus, dass du nichts trinken kannst und darfst während diesem Wochenende. Wie kannst du dich ablenken? Usw. Wenn du diese Gedanken-Revolution früh genug anfängst, gibt's da sicher eine Chance. Ich weiss, leichter gesagt als getan. Da du aber unglaubliche 6 Jahre Abstinenz ohne Hilfsmittel geschafft hast, sollte dies sicher gelingen. Gib dir eine Chance. Hauptsache, du unternimmst etwas. Ich weiss auch nicht, ob es mir selber gelingen würde. Vielleicht braucht's ein paar Anläufe bevor es gelingt.
Einige meiner Paradoxe habe ich weiter oben beschrieben, und bei mir merke ich auch:
bennter hat geschrieben:Wenn ich mich dann nach ca.3 Tagen wieder berappelt habe (Kater oder Entzugerscheinungen, wer weiß!), dann bin ich wieder der Herr Saubermann, eitel und gesundheitsbewusst.
Beispiel Eitelkeit: Da ich in einem westlichen Nachbarland aufgewachsen bin und deutsch eine schwierige Fremdsprache ist, achte ich auf jeden Schreib- und Grammatikfehler. Ein guter Auftritt, auch im Forum, finde ich wichtig. Aber unter Alkoholeinfluss: I couldn't care less. Jekyll & Hyde. Dass ich ein Perfektionist mit bipolaren Zügen bin, trägt sicher auch dazu bei.
Weiteres Beispiel: Monatelang gesund essen, dann alles kaputt machen mit binge-Essen und -Trinken. Noch ein weiteres Beispiel: Monatelang trainieren um meine Rekordzeit im Halbmarathon zu verbessern. Eine Woche vor dem Wettkampf gibt's dann einen Absturz und kann ich von vorne anfangen. Dann bin ich eine Zeitlang bitterböse mit Alkohol und mir selber. Bis zum nächsten Mal. Meine Tragi-Komödie. Meine Sinuskurve.
Eines deiner besten Zitate:
bennter hat geschrieben:Schlimm finde ich, meine akribische Planung, die Unruhe und Vorfreude, die damit verbunden ist. Da werden schon fröhlich Endorphine ausgeschüttet. Wenn diese Phase vorbei ist, dann erfolgt immer solch eine Ratlosigkeit, als würde ich einen anderen Menschen beobachtet haben. Freude kommt dann auf, daß ich das dann doch nicht wirklich will. Ich denke, diese Phase habe ich Baclofen zu verdanken.( aus dem Gedanken-Planungskarusell wieder auszusteigen).
Das gibt mir eben doch auch Hoffnung. Gestern war ich aufgewühlt und zu fixiert auf deine 6 Jahre abstinenz. Zum Glück hatte ich gestern Nachmittag eine Sitzung, da konnte ich richtig abschalten. Ich kenne diese Vorfreude sehr gut. Und auch ich habe akribisch geplant. Es war fast zu einer Gewohnheit geworden, zuerst Schlüssel, Geldbörse in Sicherheit zu bringen, genügend Bargeld für Bar, Restaurant und Taxi dabeizuhaben, aber auch nichts mehr.
Ich habe jetzt die Nase voll mit der Planerei. Ich hoffe, ich kann das durchsetzen und werde in meinen schwächsten Momenten stark genug sein, das Fass nicht überlaufen zu lassen, die Kurve rechtzeitig abzuflächen.
bennter hat geschrieben:Erinnerungen sind aber bei mir (fast) durchweg positiv besetzt.
und
bennter hat geschrieben: Das Negative wird immer verdrängt, je weiter der Absturz her ist
Das ist wie ein Fluch. Ich möchte auch sehr gerne wissen, wie das funktioniert. Vielleicht auch physiologisch?
Liebe
jivaro, über baclofen-Wirkung bei mir gibt es folgende Tatsachen:
- bac lässt mich tiefer, nachhaltiger, über mein(e) Problem(e) nachdenken.
- Ich habe schon lange rationell gewusst, dass ich ein Problem habe. Mein Alkoholverhalten ist natürlich nicht normal. Aber habe es immer 'verdrängt', je weiter die Abstürze zurücklagen, umso mehr. Erst mit bac realisiere ich mit meiner vollen Persönlichkeit, dass das so nicht geht. Die Zusammenhänge und Auswirkungen bezüglich Familie, Arbeit, meine Selbstzerstörung sehe ich viel besser ein.
- Meine Sinuskurve hängt mir Emotionen zusammen. Viele (zu) Hochs und Tiefs. Baclofen flächt diese Kurve ab, bin ich jetzt überzeugt. Es macht mich emotional stabiler. Ich merke bei der Arbeit und in der Familie, dass ich mich besser beherrschen kann, es erlaubt mir, zuerst nachzudenken, bevor ich impulsiv genervt reagiere. Ja genau, baclofen hilft dabei, impulsive Entscheidungen zu beherrschen. Das hängt sicher zusammen mit deiner Aussage
jivaro hat geschrieben:Baclofen lässt uns die Zeit "das Projekt" nochmals vom Grosshirn "überprüfen" zu lassen
- Jahrelanger Alkoholmissbrauch und Dutzende Absturze pro Jahr haben dazu geführt, dass ich emotional stecken geblieben bin. Mit baclofen hole ich stark auf, auch empathisch, kann mich besser in andere Leute versetzen,
- Die anfänglichen Nebenwirkungen sind verschwunden. Ich habe vor ein, zwei Monaten wohl zu schnell hochdosiert, war sediert und sehr müde, Harnprobleme. Und dazu habe ich vor bald 3 Wochen ein paar Tage lang ein binge mit hoher Dosierung bac kombiniert. Ich war ignorant, sonst hätte ich mir das besser überlegt. Das Resultat war massive Kreislaufprobleme während der Nacht, aber darüber habe ich gestern berichtet.
Während den NWs habe ich sicherheitshalber kein Auto gefahren. Jetzt fahre ich wieder, nur kurze Strecken.
Weil es keine NWs gibt, habe ich das Gefühl, ich könnte langsam hochdosieren um meine ideale Menge herauszufinden?
Was jedoch noch bleibt, hoffentlich vorübergehend, ist eine vom Alkohol verursachte, ab und zu auftretende Angst, mich unter Bekannten zu begeben. Denn Gerüchte gibt es schon seit längerem. Auch gibt es den kausalen Zusammenhang mit einem Minderwertigkeitsgefühl.
Liebe Grüsse
rog