Samstag 9. März 2013, 08:43
@Delle,
dein Beitrag fügt meinem "Selbstfindungs-/Suchtentstehungserklärungs-Mosaik" einige wertvolle Steinchen hinzu und macht das Bild inzwischen etwas sichtbarer. Danke dafür!
Auch ich habe (freiwillig und unfreiwillig) mehrere Umzüge hinter mir mit genau den Folgen, die du beschrieben hast.
Als ich zwölf war kam der erste Umzug (von Baden-Württemberg nach Bayern).
Ich war plötzlich "Fahrschüler", hatte am Wohnort selbst keine Bekannte, schon gar keine Freunde. Mit Gleichgesinnten entdeckte ich die "wunderbare" Kombination von Schafkopfspielen und Biertrinken (übrigens auch während vormittäglicher Hohlsstunden). Bei "Lina", einer kleinen Kneipe direkt neben der Schule, waren wir häufige Gäste.
Nebenbei : Durch die Umstellung des Schuljahresbeginn und die Kurzschuljahre in BW hatte ich ein Schuljahr verloren (was auch an meinem Ego kratzte).
Mit siebzehn folgte der nächste unfreiwillige Umzug. Mein ehrgeiziger Vater (Konstrukteur Maschinenbau) veränderte sich nochmals.
Wieder war ich "Fahrschüler", Freunde am Wohnort hatte ich am Wohnort keine.
Ich wurde mehr und mehr zum Eigenbrötler, zog mich in mein Zimmer zurück, nahm Musikstücke auf mein Tonbandgerät auf, sammelte Zeitungsausschnitte zu verschiedensten Themen.
Und noch ein Detail : Ich war (und bin es noch) Stotterer.
Bei jedem Schulwechsel versuchte ich, das zu vertuschen. Spätestens nach einigen Tagen wurde es dann doch offensichtlich. Ich hätte vor Scham in den Boden versinken können.
Dann folgte der Beginn des Chemie-Studiums in Freiburg. Ich genoss die Freiheit, hatte bald mehrere nette Freunde. Wir spielten Schach, machten regelmäßig Waldläufe, Fahrradtouren, erkundeten mit meiner Ente den Schwarzwald, Kaiserstuhl, Elsass, Basel.
Aber : In meinen Studentenbuden stand regelmäßig/immer ein Kasten Bier (Humbser Billigbier)....
Ich heiratete früh (mit 24). Mit 30 trat ich meine erste Stelle an. der Umzug ins platte Rheinland (bei Aachen) fiel nicht nur meiner Frau schwer; unser Sohn war damals gerade geboren.
Im Zuge der "Karriereplanung" bemühte ich mich um meine Auslandsstelle. Mit Erfolg : Meine Firma (damals ein weltweit agierender niederländischer Konzern) schickte mich von 1991-94 als "Expatriate" nach Brasilien. Dort hatte ich "Statussymbole" wie Dienstwagen, Sekretärin, freies Wohnen, Clubmitgliedschaft etc. Aber meine Frau war todunglücklich. Und ich wurde es auch, nachdem sich der erhoffte Karrieresprung nach meiner Rückkehr nicht einstellte. In der Firma war während meiner Abwesenheit kräftig umstrukturiert worde. das Fasergeschäft kriselte, die Aktivitäten verlagerten sich ehr und mehr nach Fernost.
Wir zogen nach Unterfranken, ich bekam als "Zwischenlösung" eine Stelle in der Zentralen Forschungsabteilung, ohne Sekretärin, ohne Dienstwagen, die Miete musste ich wieder selber zahlen...
Und: Der Alkohol bekam einen noch festeren Platz in meinem Leben, trotz vielfältiger Aktivitäten wie Singen (zeitweise in drei Chören), Sport, Kommunalpolitik (Ortsvorsitzender der Freien Wähler).
Irgendwann fiel mein Alkoholismus auch meinem Arbeitgeber auf, spätestens dann, als ich auf der Heimfahrt von einer Dienstreise verunglückte (mit 2,6 Promille).
Abmahnung, regelmäßige Alkoholkontrollen durch Werksarzt, Kündigung...
Mit viel Glück bekam ich einige Monate später eine neue Stelle als Patent- und Innovations-Manager : erneuter Umzug (von Unterfranken nach Rheinland-Pfalz).
Fernstudium zum Patent-Ingenieur an der Fernuni Hagen...
Auch in RLP fiel mein ungesunder Alkoholkonsum natürlich auf : Der Zeitvertrag wurde nicht verlängert.
Wieder hatte ich wahnsinniges Glück und bekam eine neue Stelle in einer kleinen Chemie-Firma mit Sitz in der Nähe von München und Produktionsbetrieb im Elsass., allerdings nur für drei Wochen. In der Zweitwohnung im Elsass trank ich hemmungslos, zu einer Besprechung in München kam ich betrunken und mit Rotweinflecken auf dem Hemd an. Außerdem ohne Koffer : den hatte ich beim Aussteigen aus dem ICE nicht mehr gefunden. Die Kündigung war unvermeidlich.
Es folgte meine dritte Entwöhnungsbehandlung und -großes Glück- die Frühverrentung wegen voller Erwerbsunfähigkeit.
Und dann stieß ich (nach erneuten, teils heftigen) Rückfällen auf Baclofen und dieses Forum. Ich bin Euch allen sehr dankbar und hoffe, jetzt "die Kurve zu kriegen".
Ich bin derzeit bei 150mg pro Tag. Nebenwirkungen : signifikant verstärktes Stottern und zeitweise Verwirrtheit. Oft spüre ich so etwas wie ein "Gewitter im Hirn".
Meine Partnerin, die unheimlich -und mir oft unverständlich- trotz aller Rückschläge zu mir hält, hält diese Dosis für notwendig, nachdem ich mit geringeren Dosen einige Rückfälle hatte. Allerdings damals noch in der Kombination Baclofen/Citalopram (Antidepressivum). Citalopram habe ich vor 6 Wochen abgesetzt. Nun habe ich das Gefühl, dass Baclofen viel stärker (neben-) wirkt als mit Citalopram zusammen. Ich würde sehr gerne auf eine "vernünftige" Dosis (z.B. 75mg) zurückgehen. Meine Partnerin hat aber Angst, dass dann der ganze Zirkus von neuem beginnt.
Was empfehlt ihr mir ? Hat jemand die Erfahrung gemacht, dass Antidepressiva die Wirkung von Baclofen schwächen/aufheben ?
Uff, jetz ist mein Beitrag doch etwas länger geworden...
Aber ich musste mir das mal von der Seele schreiben. Vieles ist natürlich noch ungesagt (Trennung/Scheidung, missglückte Partnerschaft, 3 Entwöhnungsbehandlungen, 3 MPU's, Kontaktverweigerung durch Sohn, Psychotherapie).
GLG, Werner