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Respekt vor Kollegen – im Zweifel eher nicht

Sonntag 15. September 2013, 10:44

Respekt vor Kollegen – im Zweifel eher nicht

Dass der Fisch vom Kopfe her zu stinken beginnt,
ist allgemein bekannt. Aus aktuellem Anlass bietet
sich das Beispiel Charité Berlin an.

So ist es denn nicht verwunderlich, wenn „Untergebene“
manche Äusserungen des Chefs bedenkenlos übernehmen und
schlimmer noch – eigene Ferndiagnosen stellen.
Post mortem, versteht sich.
So wurde insistiert, Olivier Ameisen sei für seinen
eigenen Tod verantwortlich gewesen ...

Wissenschaftlich ist das im Zweifel eher nicht.
Voller Wut und Zärtlichkeit erinnere ich deshalb
an den bekannten Semmelweisreflex und gebe zu bedenken:
es war von jeher hilfreich, das eigene Hirn einzuschalten.

Und es muss in diesem Kontext auch erlaubt sein zu fragen,
weshalb und wozu macht man an der Charité die Baclad-Studie?
Und weshalb werden aktuell bis 270mg offeriert während die
offiziellen Angaben von maximal 90mg sprechen?
Hier nachzulesen Charité-Studie (BACLAD) wird fortgesetzt
56 Probanden müssten doch in beinahe 3 Jahren zu akquirieren sein ...

Vielleicht werden deshalb hilfesuchende Patienten neuerdings vor die
Entscheidung gestellt, entweder Studienteilnahme oder Naltrexon.
Baclofen verschreiben wir nicht (mehr). Ethisch ist das nicht und über
Naltrexon kann man durchaus geteilter Meinung sein, wie im
Arznei-Telegramm nachzulesen ist: Wir raten von der Einnahme
nach Alkoholentzug ab.

Federico

Re: Respekt vor Kollegen – im Zweifel eher nicht

Dienstag 17. September 2013, 06:30

Lieber Federico,

auch wenn ich Deinem Kreuzrittertum sonst -wie Du weisst - mit grosser Vorsicht begegne und Dir ja oft auch sage: weniger ist mehr - hier: no further word needed!

LG jivaro

Re: Respekt vor Kollegen – im Zweifel eher nicht

Dienstag 17. September 2013, 07:04

"De mortuis nil nisi bene"
Aus dem Lateinischen frei übersetzt:
"Über Tote soll man nur Gutes sagen."

Und:
O. Ameisen ist mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht an den Folgen seiner Alkoholabhängigkeit gestorben sondern weil er sich zu viel zugemutet / sich überfordert hat (auch das natürlich eine "Ferndiagnose") meinerseits.
Vielen Managern etc. ergeht es bedauerlichweise ähnlich.

Die Frage nach der Eigenverantwortlichkeit ist schwierig zu beantworten.

LG, Werner

Re: Respekt vor Kollegen – im Zweifel eher nicht

Dienstag 17. September 2013, 07:22

@Werner

Ich finde die Eigenverantwortungsfrage auch sehr schwer zu beantworten.
Eine Passage aus dem Buch von Herrn Dr. Ameisen: als Olivier noch Kind war, machte die Familie Ameisen eine längere Bahnfahrt. Die Kinder bekamen ihr Zugticket mit der Warnung, gut darauf aufzupassen, ja nicht verlieren. Olivier erinnerte sich, dass er sein Zugticket ängstlich beibehielt, immer wieder überprüfend ob das Ticket noch da war - er könnte es verlieren! - und die Situation verglich mit seinem Bruder, der es viel lockerer nahm. Herr Dr. Ameisen hatte einen angeborenen Stress und wusste das selber auf die Holocaust-Erlebnisse seiner Mutter zurückzuführen. Die Kombination mit Professionalität und Alkoholmissbrauch war verheerend und tat seinem Herzen alles andere als gut.

LG

Patrick

Re: Respekt vor Kollegen – im Zweifel eher nicht

Dienstag 17. September 2013, 07:36

Danke Patrick für diesen treffenden Kommentar!
LG, Werner

Re: Respekt vor Kollegen – im Zweifel eher nicht

Dienstag 17. September 2013, 10:38

@alle,

Respekt vor Kollegen – im Zweifel eher nicht, zielt nicht nur auf Olivier Ameisen.
Gerade Mediziner sollten sich gelegentlich an all die Pioniere erinnern, die ihre Arbeit
HEUTE erst möglich gemacht haben.

Die Liste der Wissenschaftler aller Fakultäten, die zu ihrer Zeit riskante Versuche gewagt
haben, ist lang. Marie Curie erwähne ich nicht allein wegen der gesundheitlichen Folgen,
die ihre Arbeit mit Radium nach sich zogen. Ich erwähne sie stellvertretend für alle
Wissenschaftler, die Zeit ihres Lebens mit Hohn, Spott und Verachtung überzogen wurden.

Respekt vor einer herausragenden Leistung zu Lebzeiten, fiel und fällt offenbar „Kollegen“
besonders schwer und m.E., Neid und Missgunst zum Opfer. Allerdings hatte man sich in
früheren Zeiten auf Respekt „post mortem“ zurück besonnen und Leistungen entsprechend
gewürdigt.

Diese Rückbesinnung vermisse ich bei „Kollege“ Professor Dr. Olivier Ameisen.

Dass man ihn zu Lebzeiten diffamiert, verhöhnt und verlacht hat, verhält sich zu
Wissenschaft wie „Hölzchen zu Stöckchen“, ist menschlich noch nachvollziehbar.
Dass man ihn noch im Tod mit verächtlichen Bemerkungen verfolgt, ist pietätlos.

Angesichts dieser mehrfach bekannt gewordenen Respektlosigkeiten,
Kollegen gegenüber und aus dem Munde von Lehrstuhlinhabern bekannter Institutionen,
ist es dann auch nicht weiter verwunderlich, dass Patienten mit Alkoholismusdiagnose
jeglicher Respekt verwehrt bleiben muss.

Von Achtsamkeit kann trotz gegenteiliger Bekundung keine Rede sein.
Bleibt als Fazit: Im Kampf gegen Alkoholismus – einer „Geisel der Menschheit“ –
sollte man alles auf den Prüfstand stellen. Alles – bis auf „die Geisel“.

LG Federico

Re: Respekt vor Kollegen – im Zweifel eher nicht

Dienstag 17. September 2013, 13:34

Möglicherweise erlag O. Ameisen wirklich den Spätfolgen seiner jahrzehntelangen und schweren Alkoholabhängigkeit, die an seinem Organismus nicht spurlos vorüber gegangen sein kann. Nicht ohne Grund ist die Lebenserwartung von Alkoholabhängigen um ca. 20 Jahre verkürzt (Männer 58, Frauen 60), und manche Organschäden durch Alkohol und Dauerstress bilden sich eben nicht zurück, wenn der Alkoholgebrauch eingestellt wird.
Perfide ist aber der böswillig hergestellte Kontext "er hat sich letztlich doch totgetrunken"... er hat in Wirklichkeit sein Leben dank der Entdeckung von Baclofen um viele produktive und für alle Betroffenen wertvolle und lebensrettende Jahre verlängert!
Wäre er ohne Baclofen seiner Krankheit erlegen, hätte es vielleicht einen beschämten Nachruf von wenigen Zeilen gegeben ... "nach langer Krankheit verschied O. Ameisen..."

LG

Praxx

Re: Respekt vor Kollegen – im Zweifel eher nicht

Dienstag 17. September 2013, 13:48

:daumen:

Re: Respekt vor Kollegen – im Zweifel eher nicht

Dienstag 17. September 2013, 15:19

Deutscher Suchtkongress 2012

Auszug aus dem Programm:
19.30 – 21.30 Uhr, Hörsaal 1, Forum 3

Wenn Forscher auf Betroffene treffen
Der Gegenstand der Suchtforschung sind lebendige Menschen mit eigenem Kopf und
eigenem Willen. Auf der öffentlichen Podiumsdiskussion treffen langjährig abstinent lebende
Alkoholabhängige mit erfahrenen Therapeuten und namhaften Forschern zusammen,
um sich aus ihrer jeweiligen Sicht mit der Sucht auseinanderzusetzen.

Professor Dr. Andreas Heinz, Charité Berlin, äusserte sich zu
Professor Dr. Olivier Ameisen mit den Worten: „Dieser betrunkene Barpianist, der ...“
der Rest ging in Missfallenskundgebungen des Publikums unter.

Im Anschluss daran, beeilte sich der „namhafte“ Forscher entschuldigend hinzuzufügen:
„wir haben ihn ja schon hier in Berlin gehabt“ und, „wir machen ja auch eine Studie ...“

Dazu fällt mir noch ein: „Ein Mehr an Polemik beseitigt nicht ein Weniger im Verstehen.“
Zitat: Henryk M. Broder

Federico

Re: Respekt vor Kollegen – im Zweifel eher nicht

Dienstag 17. September 2013, 18:55

@praxx
Wie kommst Du auf jahrzehntelanger und schwerer Alkoholabhängigkeit
(hast Du in einem anderen Thread auch schon geschrieben) ?
O.A. ist erst 1997 dorthin abgerutscht; s. Buch;
davor war er ein sozial maßvoller Trinker!!!
2004 hat er Dank Baclofen eine Heilung gefunden.
Ich denke, dass ist schon ein gewaltiger Unterschied!
Bei Visite 2009 (NDR 3) wurde das fälschlicherweise auch berichtet.

@Federico
... gibt es eine Quelle?

Viele Grüße

Buck Dharma
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