Donnerstag 28. Juni 2018, 10:54
Hallo, liebes Forum!
Habe jetzt -- nach längerer Zeit -- den 5. Teil meines Artikel's für die Trokkenpresse
fertiggestellt. Stelle ihn jetzt wieder ins Forum.
So geht es mir aktuell. Mal mehr und mal weniger durch die Depression bestimmt....
Mein Weg mit Baclofen – 5. Teil
„Für Abhängige ist das Trinken mitsamt den damit assoziierten Gefühlen und Erinnerungen in die neurobiologischen Kreisläufe des Gehirns biochemisch eingebrannt. Diese neurobiologische Prägung sorgt dafür, dass Versuche, die Abhängigeit mit kurzfristigen Therapien oder Klinikaufenthalten zu behandeln, oft scheitern. Viele Menschen glauben, dass alles in Ordnung sei, dass es völlig ausreiche, wenn der Abhängige nicht mehr trinkt.“ … „Beim Umgang mit der eigenen Abhängigeit geht es um sehr viel mehr, als um bloßes Verstehen oder um körperl. Genesung. Das Problem ist seelischer, ist psychischer Natur. Man muss sich all jenen Konflikten und unangenehmen Gefühlen stellen, die einmal zum Trinken beitrugen. Man muss sicb selbst kennenlernen um Verantwortung dafür zu übernehmen wer man ist und dieses authentische Selbst nicht an Dinge zu verraten, die schnelle Befriedigung versprechen.“ (aus „Nüchtern. Über das Trinken und das Glück“ von Daniel Schreiber).
Es war so im Sommer vor. Jahres, als ich mich plötzlich leer und antriebslos fühlte. Normalerweise wollte ich mich ans Weiterschreiben meiner Geschichte machen, doch ich konnte keinen klaren Gedanken fassen. Irgendwie war alles grau und leer und nichts machte mehr so richtig Freude. Da mich dieser Zustand doch ziemlich beunruhigte, nahm ich mit meiner damaligen Psychologin, bei der ich vor einigen Jahren schon einmal in Therapie war, Kontakt auf. Nach Schilderung meiner Probleme bot sie mir eine nochmalige Verhaltenstherapie an. Einerseits, um aus diesen Zustand, den meine Therapeutin als Depression diagnostizierte, wieder heraus zu kommen und andererseits mal genauer nach den Hintergründen des Trinkens zu schauen. Nach einer gewissen Wartezeit bin ich nun seit Januar in Therapie.
Seit Erscheinen des 4. Teiles meiner Geschichte in der TrokkenPresse, sind nun schon einige Monate vergangen. Mein Trinkverhalten hat sich momentan so eingepegelt, dass ich in 3- oder 4-wöchigen Abständen zum Wein greife. In letzter Zeit passiert es leider auch schon mal wöchentlich... Erfahrungsgemäß immer dann, wenn die Leere oder Traurigkeit kaum noch zu ertragen ist. Was es natürlich nicht besser macht... Erfreulich ist aber, dass es im Gegensatz zu früher, wo ich mitunter 2,5 l Wein zwei bis dreimal pro Woche konsumierte, jetzt mit Baclofen nur noch ca. 5 Gläser Wein sind. Des Öfteren ist es mir auch schon mehrfach gelungen, nach ein, zwei Gläsern den Rest der Flasche wegzuschütten. Ohne Baclofen wäre mir dies niemals gelungen.
Meine Dosis Baclofen liegt zurzeit bei 130 mg. Seid längerer Zeit beschleicht mich aber das Gefühl, dass Baclofen eine gewisse Mitschuld an meiner Antriebslosigkeit haben könnte. Die meisten User im Baclofen-Forum, in welchem ich mich regelmäßig austausche, können dies zwar nicht bestätigen, aber den ein oder anderen geht es ähnlich wie mir, zumindest bei einer höheren Dosierung. Vielleicht wäre es ja keine schlechte Idee die Dosis ein wenig runterzudosieren, um zu schauen, ob es mir damit psychisch besser geht. Nach Rücksprache mit meinem Psychiater werde ich jetzt meine Dosis von 130 mg schrittweise auf 100 mg pro Tag nach unten dosieren. Ganz wohl ist mir dabei natürlich nicht, denn ich möchte auf keinen Fall, dass das Craving von früher zurückkommt. Irgendwie hätte ich mir das alles viel einfacher vorgestellt…
Mein größter Wunsch war es ja immer, mithilfe von Baclofen vom Craving befreit zu werden und damit nicht mehr trinken zu müssen. Zum Teil ist dieser Wunsch ja in Erfüllung gegangen, denn der extreme Suchtdruck von damals, welcher mich mitunter tagtäglich quälte, ist dank Baclofen größtenteils verschwunden. Dass es jedoch nicht ausreicht, eine Pille zu schlucken und zu glauben, dass damit nun alles gut wird, musste ich leider schon mehrfach erfahren. Obwohl ich dies ganz am Anfang meiner Baclofen Therapie geglaubt oder vielmehr gehofft hatte. Baclofen dämpft ja bekanntlich das Verlangen nach dem Suchtmittel, indem es beruhigend auf die Rezeptoren im Gehirn (GABA-B-System*) einwirkt. Jedoch die Auslöser des Trinkens, wie unangenehme Gefühle, Stress, Probleme oder Sorgen, sind nach wie vor vorhanden und im Suchtgedächtnis fest verankert. Dagegen kann Baclofen natürlich nichts ausrichten.
Während ich das hier aufschreibe, quälen mich immer wieder dieselben Fragen: Warum will ich mich immer noch betäuben, obwohl ich im Inneren doch ganz genau weiß, dass es nicht mehr funktioniert? Warum fühle ich mich in meinen abstinenten Phasen so leer, hilflos und allein? Warum schaffe ich es nicht längerfristig abstinent zu bleiben? Ist es immer noch die Sehnsucht nach dem Kick? Fällt es mir deshalb so schwer, trotz Baclofen, trocken zu bleiben?
Durch meinen regelmäßigen Erfahrungsaustausch im Baclofen-Forum habe ich erfahren, dass es Rauschtrinker grundsätzlich schwerer haben, mithilfe dieses Medikamentes trocken zu werden Bei den Spiegeltrinkern hingegen sieht es indes ganz anders aus. Viele Betroffene schaffen es sogar auf Anhieb und ohne größere Probleme trocken zu werden. Ich frage mich, warum fällt es Spiegeltrinkern in dieser Hinsicht leichter, nicht mehr zum Alkohol zu greifen? Was macht den Unterschied zwischen Rausch- und Spiegeltrinkern aus? Um in dieser Hinsicht mehr Gewissheit zu bekommen, nahm ich Kontakt mit meiner Suchtberaterin von der Ambulanten Suchtberatung Mitte, Geerte Immel, auf. Nach ihren Erfahrungen in der Suchtberatung vertritt sie dazu folgende These:
„Nach meiner Beobachtung fällt es Spiegeltrinkern leichter, weil diese den Alkohol nicht als Rauschmittel, sondern eher als eine Art "Medikament" nutzen, um sich zu dämpfen, d.h., um sich eine Art Rund-um-die-Uhr Schutzpanzer gegen unangenehme Emotionen und Störfaktoren aus der Umwelt zu bauen. Baclofen sediert ja auch, die Wirkung des Alkohols lässt sich so ersetzen. Rauschtrinker dagegen suchen oft den Kick, weil sie zB negative Gefühle lange verdrängen und diese dann wegtrinken wollen, wenn sich zuviel angestaut hat. Oder sie wollen aus ihrem unbefriedigenden Alltag aussteigen "Saufen ist Urlaub im Kopf". Kicks werden durch Baclofen ja eher verhindert, da Baclofen eher gleichgültig macht.
Bei Rausch- und Spiegeltrinkern unterscheiden sich ja nicht nur die Trinkmuster, sondern auch die Persönlichkeiten. Das sind aber nur meine Theorien aufgrund meiner Erfahrung als Suchtberaterin - das sind keine wissenschaftlich abgesicherten Daten!“
Da lag ich mit meiner Vermutung, was die Sehnsucht nach dem Kick angeht, ja schon ganz richtig. Der Rausch oder Kick war viele Jahre immer die Lösung für all meine Probleme, Stress, Traurigkeit oder Ängste. Dieser euphorische Rauschzustand von damals, ließ mich all die quälenden Gedanken und den grauen Alltag vergessen. Aber diese „scheinbare“ Lösung existiert durch Baclofen nicht mehr! Dennoch lockt die hinterhältige Stimme der Sucht, obwohl jetzt eher gedämpft, immer mal wieder. Doch sie lügt, wie sie es immer getan hat, denn wenn ich jetzt konsumiere, ist das keine „schöne“ Betäubung mehr. Ich fühle mich eher gleichgültig und sediert. Von Euphorie natürlich keine Spur mehr...
Ich finde es schon ein wenig enttäuschend, dass es Rauschtrinker schwerer haben mit Baclofen. Aber diese Tatsache heißt ja nicht, dass man sich jetzt seinem Schicksal ergeben muss... Meine Erwartungen an dieses Medikament waren zwar etwas höher, aber trotz allem bin ich sehr froh, dass es mir diesen quälenden Suchtdruck weitestgehend genommen hat. Was leider aber Fakt ist, und das macht es ja gerade für Rauschtrinker so schwierig, für den Kick gibt es keine gleichwertige Alternative. Das bedeutet mehr Arbeit an sich selbst, viel Einsicht und zudem die Erkenntnis, dass es den Rausch und damit das Ausblenden des grauen Alltags nicht mehr gibt. Das heißt auch, dass man sich unangenehmen Gefühlen stellen und neue Denkmuster erlernen muss, um damit die Stimme der Sucht zum Schweigen zu bringen. Dies wird kein einfacher Weg werden, unter Umständen wird mir auch die Depression das ein oder andere Mal im Wege stehen. Doch in dieser Hinsicht vertraue ich ganz auf meine Psychotherapie.
Wie es mit meiner Geschichte weiter geht, berichte ich in einer der nächsten Ausgabe.
Manuela K.
*Welche Rolle spielt nun in diesem Zusammenhang BACLOFEN? Vereinfacht kann man sagen, dass dieses Medikament es vermag, den "Hunger" der Rezeptoren ein Stück weit zu stillen. Nicht, weil es den fehlenden Alkohol ersetzt (im Sinne eines Substituts, wie beispielsweise Methadon bei Heroinabhängigkeit), sondern weil es beruhigend auf die Rezeptoren im GABA-System einwirken kann. Und BACLOFEN tut das in einem Bereich (GABA-B), wo keine Toleranz- und keine Rauschentwicklung stattfindet. Man kann also von BACLOFEN weder süchtig noch "high" werden. Zudem wird es über die Nieren verstoffwechselt, was es gerade für abhängige Menschen, deren Leber häufig vorgeschädigt ist, prädestiniert.