Donnerstag 6. Mai 2010, 14:22
Wer bist du? Wie würdest du dein Trinkverhalten beschreiben?
Hallo, mein Name ist Anke, ich bin Alkoholikerin.

Ich bin 28, trinke seit meinem 14. Lebensjahr, seit 5 bis 6 Jahren würde ich mich als alkoholabhängig bezeichnen. Aufgefallen ist mir mein Alkoholismus seit der Jahreswende. Ich trank damals zwischen 1 bis 2 Flaschen Wein (bei einer Größe von 1,70m und einem Körpergewicht von 45 bis 50 kg nicht gerade wenig). Ich würde mich als eine Mischung aus Spiegel- und Problemtrinkerin bezeichnen. Spiegeltrinkerin, weil ich immer Abends meinen Spiegel brauchte, um einschlafen zu können. Problemtrinkerin, weil ich seit meiner Kindheit an vielen, vielen irrationalen Ängsten leide, die teilweise bis ins Psychotische gingen.
Wie hast du von Baclofen erfahren?
Von Baclofen habe ich das erste Mal im Februar 2010 gehört. Damals, als mir meine Alkoholkonsum aufgefallen ist, bin ich durch verschiedene Einrichtungen gegangen, die mir allesamt eine jahrelange Langzeittherapie empfohlen haben. Die Vorstellung, jahrelang und im Grunde von der Gesellschaft ausgesperrt verwahrt zu werden, war mir ein Horror. Durch die einfache Google-Anfrage "Medikament gegen Alkoholismus" stieß ich auf Baclofen.
Wann hast du Baclofen eingenommen und wie würdest du die Wirkung danach beschreiben?
Mitte Februar (nach der wirklich sehr guten und zahlreichen Unterstützung hier im Forum) begann ich mit dem Experiment. Ich entgiftete dreitägig und nahm danach die erste Baclofen-Tablette ein.
Die Wirkung gegen das Craving war vom ersten Tag an zu spüren. Die Wirkung gegen meine Ängste schon nach drei bis vier Tagen. Seit Jahren leide ich an Schlafstörungen. Die einschläfernde Wirkung von Baclofen trat bei mir nicht ein. Ich nehme gegenwärtig 30 bis 40 mg täglich ein.
Gibt es Nebenwirkungen?
Konzentrationsschwierigkeiten, Schwindel, Wortfindungsstörungen, Müdigkeit, jedoch nichts Dramatisches. Die Nebenwirkungen, bis auf die dann nur noch abendliche Müdigkeit, verschwinden, sobald sich der Körper an das Medikament gewöhnt hat.
Hast du während der Einnahme Alkohol konsumiert?
Leider war der Frust über die verbliebenen Schlafstörungen zu groß und dadurch dass ich meine Ängste so schnell verlor, wurde ich überheblich. Ich trank schon in der zweiten Woche, in der Hoffnung, Baclofen hätte mir den Alkoholismus aus dem Leib gejagt.
Fehlschluss, denn es ging darauf hinaus, dass ich den versäumten Alkoholkonsum im Grunde nachholte, den ich aus der Abstinenz "erlitten" hatte und das Suchtmonster war letztendlich auch so gewaltig, dass ich die Einnahme von Baclofen weg ließ und mich ganz dem "Suff" hingab.
Mit Mühe und Not rappelte ich mich wieder auf. Ich nahm Baclofen wieder ein und hatte plötzlich das, was Dr. Ameisen in seinem Buch als "Schlafen wie ein Baby" bezeichnet hat. Ich entgiftete mit Baclofen und habe seit diesem Moment, vor ziemlich genau zwei Monaten keinen Alkohol mehr getrunken.
Bist du von deiner Sucht geheilt?
Es geht mir so gut wie seit langem nicht mehr. Schon nach der dritten Versuchswoche hatte ich den magischen Tag, an dem ich in keinem einzigen Moment an Alkohol dachte. Das war früher undenkbar.
Ich denke, vorsichtig ausgedrückt, dass ich von meinem Alkoholismus mittlerweile geheilt bin. Ich koche oft und gerne und benutze auch gerne Wein und Bier zum Kochen. In jeder Selbsthilfegruppe wird dir gesagt, dass man derartiges nicht darf, dass man nicht einmal mehr Parfüm, das Alkohol enthält benutzen darf. Es darf zudem auch kein Alkohol im Kühlschrank stehen (in meiner WG absolut unmöglich).Ich halte mich an keinerlei der Richtlinien und habe auch kein Problem damit, dass mein Mitbewohner trinkt.
Ich bin auch gerne auf Partys und fühle nicht einmal Craving (manchmal vergesse ich auch die prophylaktische Notfalldosis). In Berlin wird häufig Club Mate getrunken. Ich liebe es. Die Flasche sieht aus wie eine Bierflasche, das Getränk sieht aus wie Bier und es schmeckt ähnlich herb. Normale Alkis würden ausrasten, wenn sie derartiges sehen würden, ich nicht. Ich muss weder darauf achten, dass in irgendeinem Lebensmittel Alkohol drin ist. Ängste vor der Berührung mit Alkohol habe ich keine, ich bin gut gelaunt, treffe mich gelegentlich mit alten "Suffkumpanen" und es fällt mir leicht, Ihnen beim Trinken zuzusehen.
Bevor es andere falsch verstehen: Ich bin mir absolut sicher und Freunde und Bekannte haben es mir bestätigt, dass ich eine Alkoholikerin bin. Ich habe zu keiner Zeit "nur" Alkoholmissbrauch betrieben, sondern haben den Alkohol physisch gebraucht.
Welche anderne positiven Wirkungen hast du seit der Einnahme beobachten können?
Ich bin essgestört. Ich hab jahrelang auf Essen verzichtet, um mich für irgendetwas zu bestrafen. Mir ist aufgefallen, dass ich seit der Abstinenz häufiger einkaufe (damals bin ich maximal 1 x wöchentlich einkaufen gegangen). Baclofen hilft mir normal zu essen.
Ich bin auch kaufsüchtig. Beim Wein trinken habe ich ständig unnützen Schrott im Internet bestellt und habe ich Tage später darüber gewundert, warum ich es gekauft habe, u.a. Kosmetika für mehrere 100 Euro, obwohl das gesamte Badezimmer voll davon ist.
Ich bin ein Hypochonder. Sonst bin ich immer mindestens 2 x monatlich zum Arzt gegangen (mit Folgeuntersuchungen mindestens 3 x monatlich). Seit der Abstinenz, und weil ich mich kerngesund fühle, bin ich nur einmal beim Arzt gewesen.
Natürlich sind Alkis latent suizidgefährdet. Ich hatte während meiner Alkohol"karriere" den ständigen Drang, dass "mickrige wenig Leben" in mir zu beenden. Das sind Suchtgedanken. Es ist mehr die Abstinenz als das Baclofen, dass antidepressiv wirkt. Ich kann morgens in den Spiegel schauen, ohne mich zu verachten.
Die Liste könnte ich noch weiter fortsetzen. Ich glaube, aber dass alles biologische Ursachen hat, die Baclofen wirksam bekämpft und bekämpfen kann.
Hast du Tipps bei der Einnahme von Baclofen?
Vorneweg: Entgiftet, bevor ihr Baclofen einnehmt! Ich weiß aus persönlich Erfahrung, dass die Entgiftung mit Hilfe von Baclofen zwar klappt, aber viel viel schwieriger ist, aber die positiven Wirkungen der Einnahme nicht rasch in so schnell eintreten. Alkoholiker sind ungeduldige Menschen, deswegen würden sie eine derartige Ausdauer meist nicht haben. Außerdem sind die Wechselwirkungen zwischen Alkohol und Baclofen nicht einschätzbar.
Ihr solltet also sehr viel Geduld haben, evtl. sogar wochenlange. Aber was ist schon Wochen im Vergleich zu Jahren quälenden Alkoholismus?
Außerdem immer eine Notfalldosis in der Tasche habe.
Innerhalb der ersten drei Monate würde ich generell von einem Experiment mit Alkohol abraten.
Es ist auch falsch zu denken, man bräuchte keine Willenskraft, wenn man Baclofen einnimmt. Man braucht nur weniger Willenskraft. Gibt es keinen Wunsch aufzuhören, braucht man auch mit Balcofen gar nicht erst anzufangen.
Ach ja, denkt überhaupt nicht daran, dass euch Baclofen gegen eure Nikotinsucht hilft. Das führt nur zu falschen Illusionen.
Würdest du Baclofen weiter empfehlen?
Definitiv ja. Es ist nie zu spät seine alte Würde wieder zu erlangen, die einem durch die Sucht geraubt wurde. Baclofen hat, wie schon gesagt, kaum negative Nebenwirkungen. Es wird euch weder töten, noch macht es abhängig. Selbstverständlich gibt es auch den Weg, trocken zu werden, ohne Einnahme von Baclofen. Aber was ist die Folge? Es ist ein lebenslanger Kampf gegen seine eigene Sucht. Alkohol lauert überall. Dieser Kampf ist vollkommen unnötig. Ein lebenslanger Kampf gegen die Gier nach Alkohol ist in meinen Augen auch kein lebenswertes Leben mehr.
Ihr werdet vollkommen neue Menschen sein. Erfahrungsgemäß weiß ich, es gibt nur einen Moment im Leben eines Alkoholiker, in dem er eins mit sich ist. Das ist der tragische Moment, in dem er die Flasche öffnet. Man könnte jetzt argumentieren, warum überhaupt aufhören? Ganz einfach: Alkoholismus ist eine tödliche Krankheit.
Baclofen gibt euch die Möglichkeit wieder Herr eurer Lage zu sein.